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Anmerkungen zu KunstKunst

[...] Die Verselbständigung von Kunst in der Gesellschaft und nicht die Verselbständigung der Kunst gegenüber der Gesellschaft, wie es Adorno noch forderte, ist Zustand von Kunst heute. Kunst heute ist nach Luhmann ein autopoietisches System, das sich selbst produziert und sich an inneren Kohärenzen und Widersprüchen orientiert. Die Input-Definition von Kunst im Sinne von Repräsentations- und Imitationsannahmen wird von Konzepten der Selbstreferenz, die Ausdifferenzierungen des Systems Kunst im System der Kunst fokussieren, abgelöst. Darstellungen, Prozesse und Formen als Produktionsweisen des Systems werden von den Werken, die das System hervorbringt, thematisiert. Der Rahmen und die Bedingungen von Kunst rücken dabei in das Zentrum der Wahrnehmung und werden zum Inhalt von Kunst. [...] Das ist für die in der Taxis Galerie installierte Arbeit wortwörtlich zu verstehen, denn der Bilderrahmen beziehungsweise die Randbedingung wird als darunterliegende Schicht zum Bild der darüber liegenden Schicht. Kunst wird als ein sich in Kontexten oder Rahmen entfaltendes System aufgezeigt, das über Neukonstellationen und Variationen nicht nur Neukonnotationen ihres Gegenstandes provoziert, sondern tatsächlich als Struktur sich selbst neu formuliert und dabei ihren Kontext konstitutiv generiert. Die Struktur der Arbeit erzeugt somit Werke innerhalb ihres eigenen Programms. [...] Das heißt, einerseits ist die Arbeit als Installation am Boden selbst Kunstwerk, andererseits stellt sie den Kontext für den Betrieb der Bilder an der Wand dar. Der Rahmen als Kontext des Bildes wird zum Inhalt des Bildes, womit die Arbeit zu einem Mobile wird, das spielerisch zwischen Objekt- und Metaebene springt. [...] Da die Unterscheidung zwischen Objekt- und Metaebene bei selbstreferentiellen Prozessen nur als ein Oszillieren zu begreifen ist, liegt der Arbeit ein Modell der Produktion, Rezeption und Interpretation zugrunde, das Selbstbeobachtung und Fremdbeobachtung, Indifferenz und Autoreferenz, Innenwahrnehmung und Außenwahrnehmung von Kunst über eine einfache Rahmenstruktur als Selbststeuerung des Systems Kunst zur Anschauung bringt. Die Arbeit, die ihre Produktions- und Darstellungsmittel in der Produktion zur Darstellung bringt, kann so gesehen als allgemeine Untersuchung zu den Konstitutionsbedingungen von Kunstwerken betrachtet werden. Die Kunstwerke als Inventar der Galerie werden zum Ausgangsmaterial der Analyse, wobei die Struktur der Arbeit sich selbstreferentiell zur Struktur der ausgestellten Kunst verhält. [...] Die Reduktion von Kunst auf ein Objekt, sei es ein Bild oder eine Skulptur, scheitert immer anhand der Rahmenbedingungen, des Kontextes oder nach Goffmann am ,,frame effect". Das Kunstwerk muß in einem klaren Funktionszusammenhang gestellt sein, um Sinn- und Bedeutungszusammenhänge, die es als Kunst ausweisen, herstellen zu können. Konstelliert sich Kunst außerhalb ihres systemischen Rahmens, muß sie entweder den eigenen über ihre historische Drift gesetzten Rahmen überschreiten und einen Paradigmenwechsel etablieren, oder das eigene System verlassen mit dem sicheren Verlust der Lesbarkeit als Kunst. Kunst wird dabei zu einem Virus in anderen Systemen und nimmt dort Encodierungen vor. Die Arbeit in der Taxis Galerie ist umgekehrt zu verstehen: Sie simuliert die Entstehungs- und Rezeptionsbedingungen von Kunst innerhalb des Rahmens von Kunst, um sie in Form einer einfachen Analyse im Rahmen der Galerie zu encodieren. Das Oberflächendesign des Klebematerials ist daher als Bezugnahme auf einen konkreten Rahmen zu verstehen, denn die Leiterin der Galerie schätzt die Epoche des Historismus und die Farbe Grün. [...] Die gegenständliche Bedeutungshaftigkeit des Designs und die bewußte Verwendung von Verpackungsmaterial ist zwar nur schwer von der sinnlichen Präsenz zu trennen, aus dem vorher Gesagten wird aber einsichtig, daß das symbolische Arrangement der Benutzeroberfläche nicht seinen Symbolcharakter verbirgt: In diesem Sinne verstehen wir die Arbeit politisch und systemkritisch. [...]

Thomas Feuerstein, Kunst hoch Kunst, Klebebänder, 1994

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