Thomas Feuerstein
Anmerkungen zu ,,Tausch des Öffentlichen"
Vom Kunsthandel zum Handel der Kunst:
Realdatenverarbeitung im medialen Raum1
I
Der Dateninput der Computer- und Netzwerkinstallation ,,Tausch des Öffentlichen..." in den Räumen des Vorarlberger Kunstvereins, Magazin 4 in Bregenz, basierte auf dem On-Line Datenservice der ,,Austria Presse Agentur" (APA). Der APA-Datendienst APA-Select, der üblicherweise Nachrichtenredaktionen der Massenmedien Radio, Fernsehen oder Tageszeitungen mit Meldungen versorgt, bildete als Realdaten-Pool das Ausgangsmaterial der Installation. Die Daten, die über 4-Draht-Standleitung von der APA Zentrale in Wien übertragen wurden, rekrutierten sich aus den gesellschaftlich repräsentativen Bereichen Wirtschaft, Politik, Sport und Kultur.
Aus den im Laufe eines Tages eingehenden Nachrichten, Informationen und Meldungen resultierte der Stoff für eine literarische Recherche, die auf einem Computer mit Hilfe eines neuronalen Netz-Programms2 zu einem ,,literarischen" Text generiert wurde. Das Realsystem der APA wurde mit dem literarischen Symbol- und Zeichensystem von Marcel Prousts ,,Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" gekoppelt. Über ein neuronales Netz verknüpfte ein Rechner als literarische Maschine die on-line hereinkommenden Daten der APA-Recherche unter der Proustschen Bedingung seiner sprachlichen Struktur zu einem ,,Roman als Chronometer des Gesellschaftlichen".
Das Ausgangsmaterial für die Netzwerkinstallation bildeten sogenannte Realdaten, worunter wir jenes Informationsmaterial verstehen, aus dem sich Öffentlichkeit speist, über das Gesellschaft kommuniziert und aus welchem sich letztendlich gesellschaftliche Wirklichkeiten konstituieren. Prousts These, daß die Welt der Kunst alle anderen Welten (Wirtschaft, Politik, Sport...) affirmiert, ihre Zeichen integriert und diese in ihrem System konvergieren läßt, erfährt ihre medientechnische Umsetzung. Kunst selbst wird zur Rezipientin von medialer Wirklichkeit, indem der Produktion und Vervielfältigung der Zeichen durch Medien eine automatisierte Produktion und Vervielfältigung der Zeichen unter dem Gesichtspunkt der Komposition des Proustschen Werkes ,,À la recherche du temps perdu" hinzugestellt wird. Da es in diesem Romanwerk primär um den Austausch von Zeichen geht3, erschien es uns als idealer Referenztext unseres Unternehmens. Aufbauend auf den vier Welten der Recherche, der Welt des Gesellschaftlichen, der Welt der Liebe, der Welt der Eindrücke und sinnlichen Qualitäten und viertens der Welt der Kunst, versuchten wir eine Installation einzurichten, die ähnlich dem Unterfangen von Proust, nur unter anderen Voraussetzungen, alle ,,öffentlichen" Zeichenräume in die Kunst transponiert. Die APA-Datenleitung war unser Fenster beziehungsweise Draht zur Öffentlichkeit des Gesellschaftlichen. Das Gesellschaftliche lieferte das Ausgangsmaterial, denn wie Deleuze sagt, gibt es kein anderes Milieu, ,,das so viele Zeichen aussenden und konzentrieren würde, in so begrenzten Räumen, mit derartiger Geschwindigkeit"4.
Wir müssen eingestehen, daß es uns primär nicht um eine literaturwissenschaftliche Interpretation oder Exegese von Proust ging, sondern wir haben in erster Linie sein Werk gebraucht, einige werden sagen auch mißbraucht, weil es semiotisch und phänomenologisch orientiert ist und sich für eine Analyse und spätere Neusynthese medialer Wirklichkeit eignet. In Hinblick auf die Programmierung eines neuronalen Netz-Programmes interessierte uns der Aspekt der Proustschen Recherche - der für alle Gesellschaften fundamental ist -, daß Kommunikation auch ohne ,,richtiges" Verstehen ablaufen und funktionieren kann. Die Identität von Verstehen und Kommunikation, die einen Austausch geradezu verunmöglicht oder zum Stillstand gefriert, erfährt über das neuronale Netz-Programm eine (Zer-) Störung: Um so weniger verstanden wird, um so ausschweifender jene auf den Reiz folgende interpretative und assoziative Reaktion; um so perfekter und identischer das Verstehen, um so knapper die Reaktion. In der alltäglichen Kommunikation reichen fiktive Verständnisse allemal als Scharniere, um Kompatibilität in der Kommunikation herzustellen. Das heißt, relevant ist nicht das richtige Verstehen, sondern ein Empfangen, das ein Ritual des Handels im Sinn einer Reizkette bewirkt, wobei gerade die Unwahrscheinlichkeit des Sich-Verstehens Kommunikation zu einer unendlichen Geschichte macht.5 Die Kommunizierenden - in unserem Fall die beiden Rechner mit den APA-Meldungen und dem Referenztext von Marcel Proust - müssen ständig neu über Sinn und Bedeutung der Wörter verhandeln, da Inhalte und Begriffe andauernd fluktuieren. Sinn- und Bedeutungspotentiale müssen folglich immer erst interpretativ aktiviert und erschlossen werden. So wie der Held in Prousts Roman die Welt als chiffre und signe erfährt und dabei Sprache zu einem kryptischen Zeichensatz gerinnt, wird bei der Installation dieser Umstand auf den Konsum von Medien im besonderen angewandt. Welt wird als ein kognitiver Antagonismus aufgezeigt, der diese entsprechend unserem Wahrnehmungsakt durch interpretierendes Verstehen leitet und sie einerseits über das Zuschreibungskonzept der Erfahrung, des Wissens, der Erinnerung und andererseits über das der medial vermittelten Bilder, Normen und Werte beschreibt. Eine Thematisierung von Medien- und Kommunikationsgesellschaft beziehungsweise ihrer Informations- und Austauschpotentiale, die elektronisch ihren Höchststand und biologisch ihren Tiefststand zur Zeit erfahren, erfolgt über einen Interchange eines offenen und eines geschlossenen Systems. Dabei kommt es zu einer Wiederholung eines alltäglichen und täglich akuter werdenden Problems, welches sich im soziologischen Befund eines Auseinanderfallens oder Kondensierens sich ausschließender Zeichensysteme und über die immer rasanter und mikroskopischer werdende Aufsplitterung der sozialen und ästhetischen Normen und identitätsstiftenden Werte ankündigt. Es steht also eine stetig fortschreitende Ausdifferenzierung fachlicher und systemspezifischer Codes einer beständig zunehmenden Indifferenzierung in der Rezeption, besonders wenn sie massenmedialer Art ist, gegenüber. In der Recherche vermischt Proust das Essentielle und Banale, Erhabene und Triviale, Tragische und Komische in einem Relativismus und Perspektivismus und begibt sich in eine bewußte Indifferenz gegenüber dem etablierten kulturellen Wissen. Diese Vertauschbarkeit und Konvertibilität aller Qualitäten hat auch ihren Niederschlag auf das sprachliche Ordnungsschema, indem die Beziehung von Signifikant und Signifikat massive Störungen erfährt. ,,Die Pluralität der Zeichen wird", nach Hölz, ,,zu einer produktiven Macht, - in der Terminologie Ricardous zu einer machine productrice -, in der im Sinne Derridas die Erscheinungsformen der différance und dissémination oder im Sinne Blanchots das autre wirksam werden."6
Der Leser am Ende der Lektüre der Recherche hat mit dem Zeitungsleser, Radiohörer und Fernsehzuseher die Erfahrung gemein, daß in der gesellschaftlichen Welt der Recherche oder aber auch der Medien nichts Authentisches und Substantielles Bestand haben kann. Trotzdem verdient diese Welt ohne Substanz und Authentizität unsere Aufmerksamkeit wie kaum eine andere, besonders, wie wir meinen, auch die des Künstlers.
II
Vor dem Hintergrund eines immer größer werdenden Angebots medial vermittelter Information gewinnt die Art und Weise ihrer Rezeption und Interpretation durch humane wie maschinelle Schnittstellen einen Stellenwert, dem entweder durch erhöhte Reflexion bzw. Zurückdenken des ,,Problems" oder aber auch durch Beobachtung simulierter Rezeptionsvorgänge begegnet werden kann.
Da der Beobachter einer simulierten Rezeption immer eine Vermittlung seiner Beobachtungen über andere vermittelte Rezeptionen benötigt, sollen mediale Beobachtungen über das System Kunst eine Beobachtung zweiter Ordnung erfahren. Da die Vermittlung von Anschauungen auf Basis selbstorganisierender Wahrnehmungsinhalte operiert, wird in einer medial organisierten und strukturierten Kultur die Konstruktion von Wirklichkeit zu einem medial-technischen Problem. Diese Kopplung medialer Systeme führt, da eigene und fremde Erfahrungen nicht mehr geschieden werden können, zum Phänomen eines Identitätsverlustes. Aufgrund der Beobachtung zweiter Ordnung, die sich selbstreferentiell bei der äußeren, technischen und der inneren, subjektiven Wahrnehmung sieht - Identität durch Nicht-Identität -, entsteht ein Modell für eine verändernde/veränderte Erfahrung mit medialer und technischer Welt.
Über die Konfrontation zweier Rezeptionsfelder - einerseits das Feld aktueller Nachrichten, andererseits ein tradiertes literarisches Werk - soll eine Über-Setzung im Sinne der eigenen Setzung aufgezeigt werden. Die Konstruktion von Identität wird anschaulich und mediale Zuschreibungskonzepte erfahren eine Korrektur in Form einer Differenz zwischen dem Betrachter und seinem medialen Kontext.
Was uns in diesem Zusammenhang bestärkte, die Recherche als Referenztext zu wählen, war die Frage, wie Kommunikation im weitesten Sinne in einer Welt noch möglich ist, in der zum einen die Objekte und ihre sprachliche Vergegenwärtigung sich dem erkennenden Zugriff entziehen, indem sie hinter ihrer medialen Repräsentation verschwinden und in der zum anderen das handelnde Subjekt das Gefängnis seines ,,vase clos", um mit Proust zu sprechen, nicht verlassen kann. Walter Benjamin nennt Proust bekanntlich den großen Zerstörer der ,,Idee der Persönlichkeit", womit eine Klonung der persönlichen Identität ihren Ausgang nimmt - was das Romanwerk der Moderne gerade in der sogenannten Postmoderne akut macht und aktuell erscheinen läßt. Grundsätzliche Fragen, die der Roman nach dem Verhältnis von Repräsentations- und Imaginationsformen, Sprach- und Erkenntnismitteln aufwirft und die besonders in einer mediatisierten Gesellschaft brisant werden und einen Sinnentzug und Sprachverlust thematisieren, lieferten weitere Argumente, die uns die Wahl des Werkes als richtig und notwendig erscheinen ließen. Uns faszinierte somit besonders der konstruktivistische und systemtheoretische Ansatz des Romans, also daß es sich bei dem, was wir Verstehen nennen, weder um Einsichten in das eigene Ich noch in ein fremdes Bewußtsein handelt, sondern um Konstruktionen und Sinnunterstellungen, deren Funktion in anschließbaren und anschließenden Handlungen liegt. Die Unschärfe zwischen einem ,,Verstehen" und dem wirklichen gemeinten Sinn betrifft dabei sowohl die Ereignisse der Welt wie die Wahrnehmung der Wahrnehmung der Welt durch andere. Diese Divergenz entspringt der Zerstreutheit oder Zersplitterung der Wahrnehmung, der Handlungsperspektive, der Art der Interaktion, der Codierung beziehungsweise Decodierung, der Flexibilität des Gedächtnisses usw. All diese Phänomene sind einer mediatisierten Gesellschaft immanent und damit auch Problem. Um mit Luhmann zu sprechen, finden sich gleiche Phänomene gleichzeitig in verschiedenen Systemen, nur nimmt jedes System diese anders wahr, weil die Wahrnehmung eine Konstruktion jenes Systems ist, das wahrnimmt. ,,Die Operation der gesellschaftlichen Kommunikation produziert die Einheit des Gesellschaftssystems, indem sie rekursiv auf andere gesellschaftliche Kommunikationen zurückgreift bzw. vorgreift und dadurch eine Differenz von System und Umwelt erzeugt. [...] Alle Beobachtung bleibt unterscheidungsabhängig, wobei die Unterscheidung im Gebrauch nicht beobachtet werden kann."7 Die Annahme, daß Realität nur durch die Beobachtbarkeit von Beobachtungen konstruiert wird, wird uns anhand medial vermittelter Information, etwa Fernsehbildern oder Zeitungsmeldungen, überdeutlich. Weder der Endverbraucher noch die vermittelnd korrespondierende Instanz, das Medium, kann in Abstraktion von seinem eigenen Zustand wahrnehmen. Für Kommunikation ergibt sich daraus, daß Mißverständnisse vorprogrammiert sind, die aufgrund der mangelnden Kopplung des Bewußtseins mit der Kommunikationssituation wiederum nicht wahrnehmbar sind. In der Proustschen Darstellung der Verstehensproblematik scheinen diese Themenkomplexe bereits vorweggenommen.
Ein Extrembeispiel für eine fundamentale Inkommensurabilität, die sich als Wahrnehmungsverweigerung äußert, beschreibt Proust zu Beginn von ,,Auf der Suche nach der verlorenen Zeit", wenn er das Verhältnis der Großtante in Combray gegenüber Swann analysiert. Die Großtante weigert sich, die gesellschaftliche Stellung Swanns anzuerkennen und legt bei jeder Information, die ihrem Bild von Swann zuwiderläuft, ein antiperzeptives Verhalten an den Tag, das nicht nur von ihrer Antisympathie gegenüber Swann zeugt, sondern solipsistische und umweltadaptive Reaktionen zur Rettung ihrer Vorurteile zur Darstellung bringt. Das folgende Zitat von Clément Rosset, das vom Nicht-Verstehen-Können und vor allem Nicht-Verstehen-Wollen der Großtante berichtet, macht ein grundsätzliches Kommunikationsproblem anschaulich, indem es von der Ignoranz gegenüber von außen kommenden Informationen, die nicht mit den eigenen Erwartungen und Wünschen in Einklang stehen, erzählt: ,,Die Großtante ist indes durch nichts zu beeindrucken; es ist herrlich zu beobachten, mit welcher Kunstfertigkeit, ja fast schon mit welchem Genie sie den Sinn der Informationen verdreht, die sie Tag für Tag erhält, und wie es ihr gelingt, sie zum Nachteil Swanns auszulegen. Es gibt hier ein regelrechtes Wechselspiel von Botschaften und ironischen Repliken. Botschaft: Der Tante wird berichtet, Swann besitze eine berühmte Gemäldesammlung. Replik der Großtante, an Swann gerichtet: `Verstehen Sie denn auch etwas davon? Ich frage nur in Ihrem Interesse, weil Sie sich womöglich von den Händlern wertlose Schmarren aufschwatzen lassen'. Eine andere Botschaft: Man hört, Swann habe `bei einer Prinzessin' gespeist. Replik: `Das glaube ich, bei einer Theaterprinzessin!' Eine dritte Botschaft: Man erfährt, Swann sei gut befreundet mit Madame de Villeparisis. Replik der Großtante, an ihre Schwester gerichtet, die ihr die große Neuigkeit überbringt: `Was? Sie kennt Swann? Und du hast behauptet, sie sei eine Kusine des Marschalls Mac Mahon!' Diese letzte Replik vermittelt einen guten Eindruck von der Unüberwindlichkeit der Mauer, die die Großtante vor der Anerkennung der gesellschaftlichen Stellung Swanns schützt: Dazu gehört, daß sämtliche Personen, von denen nicht zu leugnen ist, daß Swann mit ihnen Umgang gehabt hat, unverzüglich von der Liste der großen Welt gestrichen werden. Bevor Swann in der Achtung der Großtante auch nur einen Schritt vorangekommen wäre, hätte sie die gesamte europäische Aristokratie zum Landadel degradiert. Es ginge Schlag auf Schlag: Zuerst Madame de Villeparisis, dann der Prinz von Wales, der Graf von Paris und, warum nicht, wenn nötig Marschall Mac Mahon persönlich. Ein Wunder an Wahrnehmungsverweigerung! Selbst wenn der Großtante von der Wirklichkeit Swanns alles gezeigt worden wäre, hätte sie doch garantiert nie etwas davon zur Kenntnis genommen."8
Aus diesem Beispiel, wie aus zahlreichen anderen, wird die solipsistische Lehre des Romans klar, wonach dem Ich die Wirklichkeit der anderen unerkennbar bleiben muß, im Fall der Großtante auch unwillkürlich unerkennbar bleiben will. In diesen beiläufigen Beschreibungen gesellschaftlicher Verhaltensmuster findet eine scharfsinnige Analyse von Wirklichkeitskonstrukten, ihrer induktiven Wirkung und euphemisierenden Kraft statt. So wie der Roman eine Inkongruenz zwischen innerer und äußerer Welt, eine Disjunktion von Imagination und Perzeption beschreibt, wollten wir in unserem Projekt eine medial substituierte Umwelt, Natur oder Öffentlichkeit in bezug zur Gefühlswelt, dem Empfinden oder der Privatheit des Medienwelten ,,scannenden" Individuums setzen. Führte bei Proust die Korrelation von äußerer und innerer Welt in der Erinnerung das Verhältnis der Komplementarität von Wirklichkeit und Imagination weiter, so sind es heute mediale Speicherwelten. Zeigte sich bei Proust, daß die reale Welt durch den Einbruch des Imaginären zum bloßen Schatten erlischt, so zerbricht heute nicht nur die Realität, sondern auch die persönliche Erinnerung - und wird irreal. Wieviele Sonnenaufgänge in unserer Erinnerung, um ein banales Beispiel zu nennen, haben wir ,,real" erlebt und wieviele medial und sind wir überhaupt noch in der Lage zu unterscheiden? Hatte bei Proust die Erinnerung noch eine synthetische Kraft, die Kluft zwischen Imaginärem und Realem zu überbrücken, lösen sich heute medial gespeiste Imaginationen und Realitäten im rein Symbolischen auf, das ab nun nichts mehr zu überbrücken in der Lage ist und braucht, da seine Existenz per se genügt. Ist die Welt der Imagination bei Proust zugleich auch eine Welt der Individuation, so ist die Welt der Medien auch eine der Isolation. Mediatisierte Wesen sind um so realer, je partikularer sie erscheinen und als Entität für sich hermetisch geschlossen ihrem Nicht-Ort verhaftet bleiben. Vergleichbar der Realität im Proustschen Romanwerk, die in einem Prozeß der Dekomposition und Rekomposition, durch den jegliche Urbild-Abbild-Relation zwischen realer und dargestellter Welt aufgehoben wird, entsteht, denotieren Medien schon längst nichts mehr und produzieren sich und performieren alleine symbolisch.
Der APA-Datenservice diente uns resummierend gesprochen zur Recherche des Gesellschaftlichen, da die Resonanz der medialen Recherche in Zeitungen, Radio oder Fernsehen, d.h. im Kontext des Alltags als Finale von Leben und als Realität von Welt erscheint. Wenn Proust von ,,restlos verdinglichten menschlichen Beziehungen" oder dem ,,Zustand der absolut gewordenen Kommunikationslosigkeit" spricht, werden Problemfelder aufgezeigt, die nichts an Aktualität eingebüßt haben; im Gegenteil haben sie sich eher verschärft. Was die Kunst diesen Realsystemen und ihren gesellschaftlichen Resonanzen hinzufügen kann, ist traditionsbedingt marginal. Aber Resonanzen der Kunst, die die endlosen Zeichenketten der Wirtschaft, Politik und Kultur (Sport, Unterhaltung, Haute Couture...) verschieben, überlagern und widerklingen lassen und die determinierten Bedingungen des sogenannten unbewußten Realen beziehungsweise die euphemistische Ordnung medialer Wirklichkeiten durch die freien Bedingungen eines künstlerischen Produkts ersetzen, erscheinen uns probeweise unabdingbar.
Dem Roman selbst können und wollen wir nichts hinzufügen außer vielleicht seinen Interpretationen im Sinn von Philippe Sollers: ,,Proust lesen? das sollte künftig heißen, den Text der Recherche zu zerschneiden, zusammenzupressen, Lücken, Schocks, Unvereinbarkeiten herzustellen: Das Projekt des Ganzen zu zerbrechen, die Punkte einer schlecht kontrollierten Abirrung hervorzuheben, eine unterschwellige Logik freizusetzen, die durch eine Lackierung von Kontinuität verdeckt blieb."9
Fußnoten
- Das Projekt wurde im Zeitraum vom 7. - 16. Oktober 1994 in den Räumen des Vorarlberger Kunstvereins, Magazin 4, in Bregenz realisiert.
- siehe Anhang von Peter Riedlsperger.
- Vgl. Gilles Deleuze, Proust und die Zeichen, Berlin 1993, S. 15: ,,Wir fordern nur Zustimmung dazu, daß Prousts Problem das der Zeichen im Allgemeinen ist; sowie daß die Zeichen verschiedene Welten konstituieren, die leeren gesellschaftlichen Zeichen, die trügerischen Zeichen der Liebe, die materiellen sinnlichen Zeichen, schließlich die essentiellen Zeichen der Kunst (die alle anderen transformieren)."
- Gilles Deleuze, Proust und die Zeichen, Berlin 1993, S. 9.
- Bei der Computerarbeit Manfred und Stella - Entstellte Schnittstellen (siehe Seite 104) interessierte genau dieser Punkt, an dem aus dem Nicht-Verstehen-Können Kommunikation wird. Aus dem totalen Unsinn entsteht letztendlich der totale und unendliche Si nn (zumindest quantitativ).
- Karl Hölz, Einführung: Sprechen im Zeichen von Partialität und Alterität. In: Marcel Proust, Sprache und Sprachen, Frankfurt a.M/Leipzig 1991, S. 13.
- Niklas Luhmann, Beobachtungen der Moderne, Opladen 1992, S. 43f.
- Clément Rosset, Das Prinzip Grausamkeit, Berlin 1994, S. 83f.
- Philippe Sollers, zit. n. Robert Jauß, Zeit und Erinnerung in Marcel Prousts ,,À la recherche du temps perdu", Frankfurt a. Main 1986, S. 365f.
Quellenangabe
Thomas Feuerstein, Anmerkungen zu ,,Tausch des Öffentlichen" Vom Kunsthandel zum Handel der Kunst: Realdatenverarbeitung im medialen Raum. In: SYSTEM-DATEN-WELT-ARCHITEKTUR, Triton-Verlag, Wien 1995, Seite 60 ff.
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