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Marc Ries
Medien und Gemeinsinn

Übung

Die technische Reproduzierbarkeit der Kunst, ihrer Werke via Aufzeichnungstechniken - Photographie, Film, Videorecorder, Platte, Cassette, CD, CD-ROM - und die Anwendung und Transformation dieser Techniken im künstlerischen Prozeß gehen über den Produktcharakter des Kunstwerks: Das Bild, die Bilder, der Ton, das Musikstück als solches/als Ganzes nicht hinaus, perpetuieren vielmehr den Ausstellungswert und die Selbstkultivierung der Sinne, d.h. üben sich weiterhin in der Konstruktion artifizieller, innerweltlicher Konstruktionen in einem geschützten Innenraum, von dem aus sich das in Kunst codierte Leben als bedeutsames Schau- und Hörspiel konzentriert und kontemplativ genießen läßt: Ein physiologisches Quietiv, erlöst vom Außen in einer wohl beschallten und belichteten Zone geläuterter Vorstellungen. Wiederholung also einer der Öffentlichkeit sich widersetzenden elitären Positionierung?

Übertragungstechniken - Radio, Telefon, Telegraph, TV, telematische Einrichtungen - definieren keine weiteren Entitäten, vermarktbare, identifikatorische Produkte, sondern reproduzieren und transformieren elementare Wahrnehmungs- und Bedürfnisfunktionen, schließen also direkt an informative, kommunikative Transfers an, realisieren einmal eine permanente Diskursivierung der Welt als Fall, d.h. des Faktischen in Begriffen der Politik, der Ökonomie, der Sexualität - Nachrichten, Dokumentationen, Talk-Shows, Reality-TV, Mailboxes -, weiters eine Rhythmisierung des Alltags über den enormen Anteil an Rauschen und Musik in den Programmen und eine Kapitalisierung der Kommunikation, wie sie über traditionelle Medien nie erreicht wurde. Diese drei Grundboten der massenmedialen Diffusionstechniken: Diskursivierung, Rhythmisierung und Kapitalisierung sind direkter Ausdruck der energetischen Grundverfaßtheit der Medien. Kunstprozesse, die auf diese energetischen Manifestationen reagieren, deterritorialisieren sich aus dem klassischen Kunstraum und ihrer Rezeption, verlagern sich unmittelbar in einen offensiven Tausch mit den mentalen und physiologischen Kräfteverhältnissen gesellschaftlicher Gegenwart.

Diese beiden Reflexionsmuster gilt es zu überdenken und in einem genauen Hinschauen auf die sozialen Anlagen jeweils eines Aufzeichungs- und eines Übertragungsprozesses zu verfeinern und möglicherweise auch zu überwinden. Ein Blick vor allem auf das, was Medienkunst an Gemeinsinn bereits in ihren Mitteln und in deren massenmedialer Verwendung antrifft.

Photographisches Sprechen

Das von Moholy-Nagy in den zwanziger Jahren auch in Hinblick auf Photographie und Film formulierte Programm einer mittelgerechten Kunstgestaltung, der Künstler solle das ,,Wesenhafte" seines jeweiligen Mittels (Licht, Farbe, Fläche, Form, Struktur, später Konzept und Kontext) zum Ausgangspunkt seines gestalterischen Tuns machen - das Mittel wird sich selbst zum Thema -, dieses Programm mag als Endpunkt einer Entwicklung stehen, die im 19. Jh. als voranschreitender Prozeß der Verdichtung der Malerei auf ihre einzelnen Elemente hin mit Cézanne ihren Anfang nahm. Die Überlegung übersieht jedoch, daß das Programm der Selbstthematisierung bereits im Modell der Photographie - und nicht erst in deren konstruktivistischer Handhabe - seine Radikalisierung avant la lettre findet. Mittelgerecht verstand Moholy-Nagy auch als ,,Gestaltung der eigenen Zeit mit zeitgemäßen Mitteln" ein gesellschaftliches Vorhaben, das sich ebenfalls als ein im photographischen Modell a priori angelegtes vorfindet.

Träger des photographischen Prozesses ist nicht nur das Trägermaterial (die lichtempfindliche Schicht), Träger ist auch das Subjekt-/Objektelement vor der Kamera (vor den Mikrofonen, vor den Displays): Lichtwellenträger, akustische Träger, Zeichenträger, Trägersubjekte und Trägerobjekte. Sie alle tragen die Bedingung der Möglichkeit einer Signifikation mit und vor, sind als Wahr-, Aufzunehmende für die Aufnahme sinntragend.

In der photographischen Aufnahme erwartet den Träger ein Code, ein Algorithmus, eine photographische langue, im Sinne Saussures ein ,,reines soziales Objekt". Die Lichtwerte des Trägers interagieren mit diesem Code dergestalt, daß sie auf seinen substantiellen (die materiell-chemische Basis) und seinen formalen Ausdruck (die Einstellungsgrößen des Apparates) einwirken und im Akt der Aufnahme eine besondere, individualisierte Artikulation, einen Sprechakt dieser Sprache ausüben. Im Moment der Aufnahme spricht der jeweilige Träger ,,photographisch", als aufgenommenes Ding spreche ich durch die langue photographique hindurch meine besondere parole photographique - photographisches Sprechen des menschlichen Trägers, der sich das Trägermaterial ebenso wie die Apparatwerte selbstgestaltend anverwandelt. Die Reaktion der Silberoxidkörner (die Reaktion der elektrischen Impulse, die Reaktion der Schaltkreise) auf die Information von außen, diese Reaktionen sind allemal hochgradig individuiert, in der erreichten Gestalt wiederholen sie sich kein zweites Mal. Die ,,Lichtsprache" ist Voraussetzung für die ,,Lichtrede" und das ,,Lichtsprechen", jedoch ist jene ohne diese wertlos: Das Belichten setzt bereits ein vorhandenes Licht voraus, ein Licht von etwas, von jemandem. Zentrales Element aller optischen Medienapparaturen ist das Licht, Subelemente sind eine lichtempfindliche Schicht, sind Optik, Blende, Belichtungszeitwahl (latentes Speicherfeld, Impulse, Frequenzen, digitale Werte). Jedoch neben diesen physikalischen, mechanischen und elektronischen Teilen, die allesamt technische Annäherungen bzw. Adaptationen des menschlichen Wahrnehmungs- (zerebralen) Codes sind, tritt als Licht-"quelle" ein ausgezeichnetes soziogrammatisches Element hervor: Der menschliche Körper. Auf Identitätsausweisen, in Polizeiarchiven, in Familienalben, in der Werbephotographie finden wir seine Spuren, Spuren einer performativen Qualität, die weder als determinierte noch als stochastische Maschine beschreibbar sind. Die Beziehung ist keine statistische, vielmehr eine kommunikative. Jedem logischen Zustand einer Maschine entspricht mindestens ein physikalischer Zustand und: Ein sozialer. Wenn für jeden informationsverarbeitenden Schritt ein bestimmter Mindestbetrag an Energie notwendig ist, so ebenfalls eine bestimmte Menge sozialer Stofflichkeit, die sich quasi automatisch jedem Zugriff auf die Maschine mitanbietet.

Das photographische System radikalisiert insofern den eingeforderten selbstbezüglichen Mittelgebrauch, als es mit ihm zu einer Sprachgründung kommt, an der das aufzunehmende Ding als mitredendes Subjekt beteiligt ist. Dieses kommunikative Element in der Bildherstellung ist neu. Jede photographische Aufnahme initiiert eine besondere Kommunikation zwischen aufnehmendem Menschen, dem aufnehmenden Apparat und dem Aufgenommenen - alle drei kommunizieren miteinander in der Sprache der Photographie, der Photograph und das Photographierte in ihrer je besonderen Aussprache. Photographischer Ausdruck und photographische Aussprache bilden zusammen die photographische Kommunikation oder photographische Darstellung. Ergebnis dieses Prozesses ist die Photographie, ein Wesen, geboren nicht nur aus dem Geist der Maschine.

Wie in jeder Sprache bin ich auch in der photographischen Sprache mit meiner individuellen Sprechweise ein anderer. Es ist eine in einer fremden, wiewohl angeeigneten Sprache hergestellte Anwesenheit. Als Photographie bin ich ein anderer (als Fernsehbild, als Telephonstimme, als meine verschriftete Botschaft im Internet) - ich spreche unvermittelt, unbewußt und bewußt zugleich die andere Sprache, die Sprache des Bildes, in meinem Dialekt - jedoch das Bild wird immer mein Bild bleiben, ein individuiertes Körper-Bild in einem ebensolchen Bild-Körper. Etwas befindet sich in jedem technischen Bild, das selbst außerbildlich ist, wenn auch nunmehr nur als Bild sichtbar.

Die photographische langue verwirklicht in ihrer Anwendung, ihrem Gebrauch eine soziale Kommunikation, eine Unterhaltung, die sich vorderhand in eine soziometrische Dimension - die Daten der Photographie sind soziale Daten - hinein bewegt. Als ,,reines, soziales Objekt" emittiert die photographische langue eine soziale Kommunikation zwischen zwei Anwendern, eine Sprache, deren Thema die gesellschaftliche Vermittlung der Körper und Ideen als photographisch, filmisch, videologisch, telematisch transformierter, kondensierter Körper und Ideen ist. Jeder künstlerische Eingriff (mit/in Aufzeichnungsmedien) tritt notwendig in den sozialen Kommunikationsraum der Photographie ein, wiederholt in gewisser Weise das Gespräch mit dem Davor, den Körpern, Vorstellungen vor den Kameras und während der Aufnahme. Fraglich ist, ob den Kunstprozeß dieses Gespräch interessiert, ob er es auf seine Weise herauszustellen gewillt ist.

Von photographischer (filmischer, telematischer) langue als einem sozialen Objekt zu reden ist auch in anderer Hinsicht von Belang, da diese Sprache keine Geheimsprache oder formalisierte Sprache ist, die nur wenige benutzen. Die apparativ generierten Sprachen sprechen implizit alle Menschen. Universalsprachen. Jeder photographiert, wird photographiert, ist/wird angeschlossen an ein Netz, arbeitet an einem PC, wird von Computern erfaßt. D.h., sehr viele Menschen nehmen teil an der Kommunikation, entweder auf der einen oder der anderen Seite, als Aufnehmende und als Aufzunehmende. In all diesen Aktivitäten entwirft jeder seine ästhetische Form, seinen persönlichen Zeichenraum, seine Weltformeln. Dies meint der diffamierende Begriff ,,Massenkultur", ,,Massenmedien". ,,Masse", ein soziologischer Begriff, ein Term, der eine technische Funktionsgestalt in die Funktion eines Gemeinwesens überführt, Gemeinschaft benennt und eine Umschreibung von Öffentlichkeit ist. Denn die Massenkultur der Medien ist ein, ist der zeitgemäße öffentliche Diskurs.

Wenn Kunst sich ausschließlich der Verschiebung am Spiel mit den Medien als Apparaturen verschreibt, dann sind ihre Produkte nicht wesentlich ,,bunter" als die aller anderen Anwender. Ihre Gestaltung ist vorerst bloß Studium der Möglichkeiten der in den Programmen angelegten Variationen und also ein, ab und an kapriziöses, Ausloten der Systemgrenzen. Doch in dem steht der im Privaten operierende ,,Freak" dem Künstler in nichts nach, ja beide verschmelzen idealerweise miteinander, ihre Produkte, ihre ,,Werke" reichen nicht über die, wenn auch obsessive, Analyse einer Performanz des technisch Möglichen hinaus, eine Performance entlang der technischen Gebrauchsanweisungen. Ein künstlerischer Arbeitsraum tut sich erst dort auf, wo nicht nur das Mittel, sondern sowohl seine mit ihm konfigurierte soziale Stofflichkeit als auch seine universale Handhabe, Verwendung als Massenmittel reflektiert und ,,verschoben, überlagert und zum Widerklingen" (Feuerstein) gebracht wird, wo also die Dimension des Sozialen, der Gemeinschaft erfahrbar wird als ein Gemeinsinn, der sich im einzelnen und im allgemeinen durch mediale Sprechakte hindurch definiert.

Mediane Orte

Schaltet sich der Kunstprozeß in ein Übertragungssystem, so übernimmt er notwendig von diesem das Zentrum, etabliert selbst ein solches Zentrum. Dies soll am Beispiel des Fernsehens ausgeführt werden.

Der prinzipielle Raum des Fernsehens (des Radios, der Nachrichtenagenturen) ist sein eigener, der mediane, der, in dem es sich herstellt, sein Arbeitsraum, das Studio. Dieser ausgezeichnete Ort ist auch sein gesellschaftlich eigentlicher.

Während die ersten Photographien und die ersten Filme im Außen, im Freien, in der Natur ihre ersten Motive sammelten - für die Photographen eine notwendige Objektwahl, da gebunden an ein starkes, kontinuierliches Licht und lange Belichtungszeiten -, gelingen die ersten Fernsehaufnahmen in der Werkstatt, im Atelier, im Herstellungsraum inmitten der Technik, der Technikkräfte. Und diese sind immer Teil des Bildes, sind das Bild und sind im Bild. Als Zuschauer weiß man um die innerweltlichen Konstruktionsanstrengungen des elektronischen Dispositivs: Jede Ansage, jede Moderation, jedes Studio trägt mit sich - als Körper, Stimme, Text, Musik, Funktionsmilieu - auch die Aussage des Produktionsapparates selbst vor, als Technik und als Institution, als Zentrum. Das ,,Studio"' verdingt sich die doppelte Bestimmung, Produktionsraum und Bildraum zu sein.

Man sieht (hört, liest) einen Raum, von dem man implizit weiß, daß er sich selbst hervorbringt.

Der Studioraum bindet die Energie an sich. Hier wird die Energie, die von außen (als Bericht) oder aus ihm selbst kommt (als Talk-Show bspw.) gebündelt, neu zusammengesetzt, nachbearbeitet, in eine Form gebracht, die Form der Serie, von hier aus wird sie losgelassen, ausgesendet mit der notwendigen Markierung ihres Entstehungsortes. Ort der Herstellung und der Ausstellung. Es ist der Ort, an dem sich das Fernsehen als eine gesellschaftliche Kraft definieren kann. Als Zentrum.

Das Studio als der eigentliche Raum des Fernsehens, als Sichtbarkeit konzentrierter Energie, ist als gesellschaftliche Kraft Äußerung eines Zentrums. Der Sender, von dem aus der Kanal/mit dem die informierte Energie sich als gesellschaftliche Triebkraft mitteilt, ist als Mitte vorstellbar, ein MEDIANES. Das Mediale bezeichnet den Prozeß, die Übertragung, den Transfer hin zu einem und weg von einem Zentrumsort. Das Mediane ist dieser Ort der Mitte selbst.

Die Figur X bietet sich zur Darstellung an: Zwei Übertragungsbewegungen ist zu folgen. Die eine Übertragung: V (ein Trichter) beginnt in einem - weltweiten - Außen, einem offenen Wirklichen, von dem aus Material, Rohstoffe (Eigenprodukte des Senders wie eingekaufte Berichte, Filme) aufgenommen werden: Ebene der producer. In einer zusammenziehenden Bewegung wird alles Material vereint in einer Mitte, einem Zentrum: Der Sender funktioniert in der Kontraktion als Produktions- und Sendeapparat, der das Material in Serien organisiert, als Institution mit politischen, ökonomischen und kulturellen Kräften und Gegenkräften und als Studio, also als ,,Mutterboden".

Die andere, die zweite Übertragung, eine Glocke, entfaltet eine gegenläufige Bewegung, eine loslösende, extrahierende Bewegung des Aussendens von in Serien gegossenen Informationen, Fiktionen hin zu den weltweiten Empfängern, den consumers. Wobei diese nicht nur in eine Frequenz, in ein Studio hinein sich schalten können, sondern eben in tendentiell alle an ihrem Empfangsort zu empfangenden Studios.

Der Organismus der Figur ,,X", aller ,,X" - aller Sender - demonstriert eine kontinuierliche, zusammenziehende und loslösende Bewegung, einen kontrahierenden, oralen und extrahierenden, analen Rhythmus. Empfangen und Gebären. Wobei sich dieses Grundmodell multiplizieren sollte zu einem Scherengitter, da der doppelten Übertragung noch andere vor- und nachgelagert sind.

Ein wichtiges Verteilungszentrum, das den einzelnen Sendern vorgelagert ist, ist das der Nachrichtenagenturen. Diese (Reuters-TV, WNT...) nehmen über ihre field-producer Fragmente sozialer, politischer Wirklichkeit auf, kondensieren sie in Nachrichtenblöcke - als Produktions- und Institutionszentrum - und verbreiten sie in den verschiedenen Nachrichtenpools (US-pool, EBU, ABU...), aus denen dann wiederum die Fernsehsender ihre Auswahl treffen, erneut zentrieren und wieder verbreiten.

Mit dem Monitor im Wohnzimmer ereignet sich ein nachgelagertes Verteilungszentrum. Alle zu empfangenden Sender werden latent im Monitor, besser in der Fernbedienung zentriert. Aus den diversen Sende(r)angeboten entnimmt sich der/die Benutzer/in - nunmehr selbst Zentrum ideologischer und anderer Kräfte - jene Elemente, die seinen aktuellen Bedürfnisstand ansprechen, er wählt aus und läßt ausstrahlen, wobei die Empfangssituation eine tendentiell offene ist, einmal von der Vielzahl der Mitseher aus und ihrer je selektiven Wahrnehmung, wie auch von dem, daß das Ankommen im einzelnen selbst ein offenes, unverfügbares ist. Was mit der Information in mir passiert, wo, von wem, wovon sie aufgenommen wird, ist ,,unaussprechbar", vor allem unaussprechbar in den Vokabularien der Wahrnehmungsphysiologie und der Psychologie.

TV ist zutiefst eine Anschlußbewegung an die Welt als Fluß, an die steten Veränderungen der Dinge, an die gegebenen wie an die selbst hervorgebrachten, an ihre kapitalintensiven Transformationen ebenso wie an ihre spielerischen Umdeutungen. Das Zentrum, die Zentren wiederum verlangsamen den Fluß, die Übertragung, relativieren ihre spektakuläre Kraft und Ausformung, informieren, uniformieren vielmehr die Bildströme entlang der Maßregeln der Wahrnehmung, der Wirtschaft, der Politik, aber auch entlang der sehr individuellen Körper-Hygienen/-Diäten.

Schaltet sich ein Kunstprozeß in die Dissemation ein, so ist prinzipiell die Frage, für wen sich das dergestalt notwendige Zentrum konstituiert - für ein Galerienpublikum (was eigentlich ein Zurückfallen in den Zustand 1 der Binnenwelten der Aufzeichungsmedien bedeutet) oder für ein öffentliches Netz (ob Fernseh- oder Datennetz) -, und mit welchen Maßregeln Kunst die vergesellschafteten Zentrumsinstanzen belegt und umdeutet. Die Werkform Konzert (,,Real Data Stampede") ist natürlich ein ideales Kunstmittel, zumindest vorläufig soziale Energie in - synenergetischen - Überhöhungen an einem geläuterten Ort zu thematisieren. Aber ist dieser Zusammenklang nicht gleichzeitig eine Symphonie des medialen Großraumes Welt, besser der Weltstadt als solche? Wohingegen die ,,Hausmusik" eher nur eine einzelne Weltenkammer bespielt, quasi Kammermusik mit zum Teil alten Werkzeugen betreibt.

Das Neue an der Medienkunst ist ihr Aufenthalt, ihr Dabeisein an Orten, in Produktionszusammenhängen, die bisher von der Kunst eher als ihr - notwendiges - Gegenteil abgedrängt wurden. Orte der Alltagskultur, der Massenunterhaltung, der Informationssysteme. (Pop-Art und andere populärkultur-angelehnte Kunstrichtungen arbeiten mit von ihrer Herstellung abgekoppelten Produktgruppen, verdoppeln eigentlich nur deren Erscheinungsgrad um die selbstgefällige Botschaft einer wie auch immer hintergründigen Warenästhetik.)

Deren Benutzung wird zunächst über die Kommunikationsform bestimmt, die die Apparatur bedingt. In der Folge vom Ergebnis, in dem Sinn, daß der technische Bild- und Tonverbund wesentlich bemüht ist, soziale Wirklichkeit zu entwerfen, Wirklichkeit als Information und als Unterhaltung. Will sagen, daß hier Unterhalt - symbolischer, ikonischer, indexikalischer - geleistet wird, der die Aufrechterhaltung unserer sozialen Bindungen erst fortzuführen erlaubt, als Kommunikation zwischen dem einzelnen und der Welt. Ebenso als Information, d.h. als Verhüllung, Hülle, Haut, Maskierung, Gestaltenwechsel, Formensprung, um eine Sprach- und Bildform zu entwerfen, die das Angestaute zu überwinden hilft. Halten und Formieren, beide erzeugen ein soziales Layout. Auf dessen Lagen erst kann Medienkunst sich selbst informativ/formierend und unterhaltend/haltend nach vorne entwerfen, ist sie aufgefordert, auf die medialen Sprechakte ebenso zu reagieren wie auf die medianen Orte und ihren sozialen Impact.


Quellenangabe

Marc Ries, Medien und Gemeinsinn. In: SYSTEM-DATEN-WELT-ARCHITEKTUR, Triton-Verlag, Wien 1995, Seite 122 ff.

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