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Bernhard Vief
Aus einem Gespräch mit Bernhard Vief
Geld als Universalcode

Folgender Text entstand aus einem Gespräch mit dem Geldtheoretiker und Kulturphilosophen Bernhard Vief. Ausgangspunkt war das Projekt Hausmusik bzw. dessen historische, theoretische und philosophische Implikationen. Zur Sprache kamen dabei besonders Auswirkungen und Phänomene einer mediatisierten Kultur auf ökonomische und gesellschaftliche Zusammenhänge.

In einem Zeitalter des Digitalen, in dem alles in Zeichen transformierbar wird, ist Geld reines Zeichengeld und Medium geworden. Der Übergang vom Naturaltausch zum Geldtausch erfährt eine weitere Perfektionierung, indem der Realwert des Geldes gänzlich in den Hintergrund tritt: Geld gerinnt zu einem Code und umgekehrt wandeln sich nunmehr Bits zu Geld. Die ,,Reinheit der Information", die eine beliebige Austauschbarkeit von Inhalten erlaubt, wird dadurch Realität. Diese Dynamik des Computers und die damit verbundene Digitalisierung der Alltagswelt beeinflussen sämtliche Lebensbereiche und so lassen sich Querverbindungen zwischen den verschiedenen Systemen und nicht zuletzt zum System Kunst selbst herstellen.

Ursprünglich war das Gespräch als Interview konzipiert, es haben sich aber zentrale Themenschwerpunkte herauskristallisiert, die es im Sinne einer besseren Lesbarkeit zweckmäßiger erscheinen ließen, das Gespäch zu einem Text zu komprimieren und die einzelnen Fragenkomplexe mit schwerpunktbezogenen Überschriften zu versehen.

Reine Information

Geht man vom Begriff der reinen Information aus, so suggeriert dieser normalerweise einen Bedeutungsschwund und eine Implosion der Realität in Zeichen. Reinheit der Information kann man aber auch anders verstehen und mit Austauschbarkeit gleichsetzen. Denn reine Information ist nicht ohne Inhalt, sondern mit beliebig austauschbarem Inhalt. Sie ,,handelt" mit diesem Inhalt - im ganz ökonomischen Sinne von Handel und Wandel. Dieser Mechanismus, der keinen besonderen Inhalt, sondern vielmehr den Warencharakter dieses Inhalts voraussetzt, hat eine Parallele in der Ökonomie, und zwar im Übergang vom Naturaltausch zum Geldtausch. Diese Parallele hat verschiedentlich dazu Anlaß gegeben, Medien mit Geld zu vergleichen, ja sogar, wie Talcott Parsons oder Marshall McLuhan dies tun, im Geld den Prototypen eines Mediums zu sehen. Geld ist ein formaler Mechanismus, dessen Funktion im Tausch besteht, nämlich Ware 1 in Ware n zu verwandeln. Für Käufer und Verkäufer heißt das, die Arbeit, die sie geleistet haben, in einen Sinnzusammenhang zu stellen. Dieser Sinn- oder Bedeutungszusammenhang vollzieht sich in jedem Kaufakt, der die verschiedenen Spezialisierungen, die jedes Mitglied der Gesellschaft eingeht, in einen gesellschaftlichen Kontext stellt, um sie wieder zusammenzuführen und ihnen im nachhinein einen ,,Sinn" zu geben. Das Medium hierfür ist das Geld. Das Geld erlaubt es also, eine Gesellschaft in arbeitsteilige Glieder zu zerlegen und sie anschließend zu einem ,,Gesamtkörper" zusammenzusetzen. Diese Funktion des Geldes übernehmen heute die Neuen Medien. Das sind für mich binär kodierte Medien. Denn erstens tut die Maschinensprache auch nichts anderes: Sie zerlegt ein Sprachfeld in ,,kleinste Informationseinheiten", in Bits, und setzt sie anschließend wieder zusammen. Zudem hat das Geld durch die Informationstechnik gravierende Änderungen erfahren und kann heute in dem oben bezeichneten Sinne als ,,Neues Medium" gelten. Der Übergang von der Münze über die Banknote bis zum elektronischen Geld hat den ,,Realwert" des Geldes in den Hintergrund gedrängt. Das heutige Geld ist ein reines Zeichengeld und wird, wie andere Zeichensysteme auch, binär kodiert. Warenaustausch und Informationsaustausch, Geld und Medien gleichen sich also an, und eine Unterscheidung ist fragwürdig, wenn nicht unmöglich. Zweitens, und hier gehe ich einen Schritt weiter: Alle Funktionen, die das bisherige Geld erfüllte, werden heute von den Bits erfüllt, insbesondere die Tauschmittelfunktion, d.h., zwischen Käufer und Verkäufer zu vermitteln. Aber darüberhinaus vermitteln die Bits nicht nur den Warenaustausch, der auch ein Informationsaustausch ist und es schon immer war, sondern jeden beliebigen Informationsaustausch. Der Radius der Austauschbarkeit wird so enorm erweitert - über das hinaus, was wir bisher Ökonomie nannten. Die Bits sind also ein besseres Geld. Das bisherige Geld war primitiv und unentwickelt. Dazu muß man sich klar machen, daß die Bits nicht irgendwelche Zeichen sind. Die Bits sind Elementar- und Universalzeichen, mit deren Hilfe man verschiedene Zeichen und Zeichensysteme ineinander verrechnen kann - so wie das Geld Waren und Warenbesitzer verrechnet. Die Bits sind also reines Zeichengeld. Das impliziert, daß die Bits nicht nur das Geld kodieren, so wie sie auch das Fernsehen oder Telefon kodieren, sondern daß sie selber Geld sind und daß das Geld ein Code ist.

Bits und Geld

Es ist natürlich fraglich, ob die Gleichsetzung von Geld und Bits haltbar ist. Dennoch will ich diesen Vergleich nicht nur metaphorisch, sondern wörtlich nehmen und ihn so weit treiben, wie es möglich ist. Die erste Schwierigkeit entsteht daraus, daß die Bits überhaupt nichts Quantitatives darstellen. In gewisser Weise negieren sie jeden Begriff von Quantität und Zahl. Innerhalb des Binärsystems z.B. ist die Null nicht kleiner als die Eins, sondern nur anders. Man muß sich also ein Geld vorstellen, das nicht quantitativ ist - eine Vorstellung, gegen die der gesunde Menschenverstand sich sträuben mag. Dennoch geht es bei einem solchen Geld lediglich darum, daß etwas in etwas anderes transformiert wird. Die Funktion des Geldes als Wertspeicher tritt also in den Hintergrund gegenüber der Tauschmittelfunktion. Die Frage, wieviel das Geld ,,wert" ist - die Frage der Quantität - wird dabei unwichtiger. Anders ausgedrückt: Tausend Mark sind nicht tausend Mark, sondern wesentlich ist, wieweit ich den Kontostand eines Bankkunden mit anderen Informationssystemen verknüpfen kann - z.B. mit dem Krankenstand des Kunden -, wodurch ein Gesamtbild und Gesamtmuster einer Person entsteht, das diese in einen gesellschaftlichen Verwertungsprozeß eingliedert. Für die tausend Mark wird dann wichtiger sein, wie schnell sie sich umwandeln bzw. wie oft sie sich in einer bestimmten Zeiteinheit umschlagen können - denn tausend Mark im Sparstrumpf bedeuten bekanntlich etwas anderes als tausend Mark auf der Börse. Wahrscheinlich meint McLuhan genau das, wenn er sagt, der Reichtum einer Gesellschaft beruhe auf der ,,Bewegung" von Information und das Geld könne seine Funktion als Arbeitsspeicher aufgeben. Dabei ist ,,Bewegung" hier nicht physisch zu verstehen, sondern als Metamorphose im Sinne der Transformationsfunktion des Geldes: Was gespeichert ist, liegt brach und verhindert seine Umwandlung. D.h., je schneller das Geld Dinge ineinander transformiert, desto unwichtiger wird die Quantität des Geldes.

Hier stellt sich die Frage, was man unter Geld versteht. Es gibt Literatur, die beim elektronischen Geld von einer geldlosen Wirtschaft spricht, einfach weil man darin annimmt, die Abschaffung der Banknote oder Münze sei die Abschaffung des Geldes. Das ist aber nicht richtig, denn Geld war schon immer Information. Die Banknote ist eine Urkunde oder Notiz, wie der Ursprung des Wortes ,,Note" ja schon besagt. Auf der Banknote wurde der Metallwert ,,notiert". Die Banknote war also Ersatz für hinterlegte Barschaft, d.h. für Metallgeld. ,,Bar" heißt nämlich ,,glänzend". Der Ausdruck ,,Bargeld" suggeriert, es gäbe ein originales Geld, in dem das bargeldlose Geld gedeckt sein müsse. Aber auch das Metallgeld hat seine historischen Vorläufer und ist keineswegs ,,original" oder ,,ursprünglich". Tatsächlich gibt es nur stellvertretendes Geld. Es ist ein Wesensmerkmal des Geldes, an die Stelle von etwas anderem zu treten und dieses - die Warenwelt nämlich - zu ersetzen. Übrigens ist dies eine Gemeinsamkeit, die das Geld mit jedem anderem Zeichen teilt. Die scholastische Definition eines Zeichens, die auch in der modernen Semiotik noch als Minimalkonsens Gültigkeit hat, lautet: aliquid stat pro aliquo (das eine steht für das andere). Das sogenannte Ersatzgeld - ein Surrogat, das ein altes Geld gegen neues ersetzt -, bezeichnet einen historischen Übergang. Das neue Geld löst einfach nur das alte Geld ab. Im Mittelalter waren Metallmünzen Bargeld, heute sagen wir zu Papierscheinen Bargeld, und meines Erachtens ist das ein historischer Trend: Das unbare Geld von heute ist das Bargeld von morgen. In zehn, zwanzig Jahren werden wir elektronisches Geld als Bargeld betrachten und nicht die Empfindung haben, es sei bargeldlos.

Geld hat die Funktion, Käufer und Verkäufer zusammenzubringen, damit sich die Tätigkeiten der arbeitsteiligen Glieder einer Gesellschaft nicht als unnütz, überflüssig und sinnlos erweisen - etwa bei einer Absatzkrise. Geld löst somit Vermittlungsprobleme, die immer Informationsprobleme sind. Ich gehe hier von der Funktionswerttheorie des Geldes aus, die besagt, daß alles, was Tauschmittelfunktion erfüllt, Geld ist. Fragt man sich nun, ob eine Banknote oder die Elektronik die Vermittlung zwischen den Marktteilnehmern besser leistet, dann ist es eindeutig letztere: Die umlaufende Information vermittelt den Kaufakt, sie ist Geld.

Informationsfluß als Kulturtechnik

Bei den Bits handelt es sich um Zeichenatome, die einen gesellschaftlichen Austausch leisten. Und wenn dieser Austauschprozeß nicht funktioniert, wird der Warenaustausch in einer Gesellschaft nicht gewährleistet - und das kann ich mir in einer komplexen Volks- und Weltwirtschaft nicht vorstellen. Würden die Bits diesen Transformationsmechanismus nicht leisten, wäre der Warenaustausch unterbrochen, elementare Funktionen in unserer Gesellschaft könnten nicht aufrechterhalten werden, und unsere Gesellschaft wäre nicht mehr lebensfähig. Wir hätten eine Währungskrise bzw. Softwarekrise. Das ist allerdings ein Erklärungsansatz, der ein wenig apokalyptisch ist.

Mein Denken dagegen orientiert sich nicht an spektakulären Ereignissen, d.h., ich gehe nicht vom Börsenkrach aus. Ich schaue nicht zuerst dahin, wo der Computer Störungen produziert, sondern dahin, wo er funktioniert, wo er sich lautlos und störungsfrei in die Gesellschaft eingliedert und gerade dadurch tief in die Poren unserer Kultur eindringt. Dieser unspektakuläre Normalfall ist für mich spannender, als von der Katastrophe zu sprechen. Wenn ich mir im Supermarkt mit Hilfe einer Plastikkarte eine Coladose kaufen will, kann ich in aller Regel davon ausgehen, daß dieser Kauf aufgrund eines elektronischen Informationsflusses gelingt. Dieser Informationsfluß ist also eine Kulturtechnik, die die Realität keineswegs in Zeichen implodieren läßt, wie es Baudrillard in seiner Implosionsthese formuliert. Die Implosion findet nicht statt, und wenn, dann hätten wir den Börsenkrach, und eine körpergebundene Wirklichkeit würde damit wiederbelebt. In der postmodernen Diskussion wird zwar das Gegenteil behauptet: Die ,,Implosion der Realität im Zeichen" entwickle eine körperlose Welt. Wenn aber die Informationssysteme zusammenbrechen, dann tut das weh, und eine körperliche Wirklichkeit wird dadurch aufgewertet. Das hyperreale Grundgefühl, von dem Baudrillard spricht, beruht gerade darauf, daß der Informationsaustausch funktioniert und die Implosion ausbleibt, und deshalb ist die Implosionsthese mit Vorbehalt zu genießen.

Die Bits als Grundalphabet

Die Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem wandelt sich, es besteht keine lineare Beziehung mehr, vergleichbar mit dem Naturaltausch, innerhalb dessen Ware gegen Ware getauscht wurde, sondern die lineare Struktur wird durch eine Netzstruktur abgelöst. Das besiegelt den Abschied vom einfachen Absender-Empfänger-Modell. Ich habe nicht mehr einen Absender und einen Empfänger, sondern verschiedene Punkte. Die Verbindung dieser Punkte ergibt keine Linie, sondern ein Netz. D.h., es werden mehrere Absender und Empfänger verbunden, und diese können als Absender oder Empfänger hin und herwechseln. Dafür brauche ich einen Universalcode. Ein solcher Universalcode war das Geld bisher für die Ökonomie - und das Alphabet für die Schrift: Mit Hilfe des Geldes kann man beliebige Waren abbilden, mit Hilfe der Schrift beliebige Sprachen. Um deutlich zu machen, was ein Universalcode ist, bediene ich mich deshalb einer zweiten Metapher, nämlich der des Grundalphabets: Die Bits sind nicht nur Zeichengeld, sondern stellen ein Grundalphabet dar. Mit Hilfe von Bits können beliebige Zeichen ,,buchstabiert" werden. Der Begriff Code wird oft mit dem Wort Schlüssel gleichgesetzt - man spricht von Codierung oder Decodierung, von Ver- oder Entschlüsselung. Der Binärcode ist aber nicht irgendein Schlüssel, sondern ein Generalschlüssel, mit dem ich jede Tür aufschließen kann. Das ist vergleichbar mit dem Einbruch des Geldes in eine Naturalwirtschaft. Das hatten wir vor der Reformation, als der Zehent von einer Naturalrente in eine Geldrente umgewandelt wurde. Die Bauern gaben ihren Zehent nicht mehr in Getreide ab, stattdessen mußten sie das Getreide auf einen Markt tragen, dort in Geld verwandeln, und erst dann konnten sie den Zehent bezahlen - was im übrigen in Deutschland zu einer Verarmung der Bauern führte. Genauso müssen wir heute zuerst unsere Information zu Markte tragen und in zweiwertige Werte verwandeln. Das Funktionieren der Gesellschaft ist dabei vom Abschluß dieses semiotischen Prozesses abhängig, davon also, daß nicht nur etwas in zweiwertige Werte zergliedert wird, sondern daß es nachher auch wieder in einen ,,sinnvollen" Kontext, und zwar in den Kontext der Informationsgesellschaft montiert wird.

Geld als Universalspeicher

Das Gefühl der Unkörperlichkeit beruht darauf, daß die Technik, die heute eine Informationstechnik ist, unaufdringlich ist und dem Körper entgegenkommt, indem sie die Diskrepanzen zwischen Körper und Umwelt im Rahmen eines kybernetischen Modells ausgleicht - wie bei einer Thermostatregelung. Mit Hilfe der Informationstechnik werden so die Grenzen zwischen innen und außen reguliert. Die Bits regulieren Nähe und Distanz. Letzteres tut auch das bisherige Geld, indem es die Phasen zwischen Sommer und Winter, Hunger und Essen nivelliert. Man braucht nicht wie früher einen Kornspeicher, sondern nur noch die Geldbörse, also einen ,,Markt", wo man zu jeder beliebigen Jahreszeit jedes beliebige Lebensmittel aus allen Teilen der Welt einkaufen kann. Nicht nur örtliche, auch zeitliche Differenzen werden vom Geld ausgeschaltet. Das Geld ist ein universeller Wert- und Bedürfnisspeicher, im Gegensatz zum Kornspeicher, der lediglich die Phasen zwischen Hunger und Sättigung glättet. Das Entscheidende beim Geld ist die Transformation der verschiedenen Speicherformen ineinander. Das Geld reguliert also, im Gegensatz zur ,,Naturalie", nicht nur ein Bedürfnis, sondern beliebige und austauschbare Bedürfnisse. Geld beruht auf einem hermetischen Modell - auf einer universellen Bedürfnissteuerung, mit der ich mich gegen die Umwelt abkapseln kann. Mehr noch als von ,,Geld" wird diese Funktion heute von der Informationstechnik wahrgenommen. Das macht das hyperreale Grundgefühl aus. Die Bits als neues Weltgeld und Zeichenesperanto packen mich in Watte und schirmen mich wie mit dämpfenden Drogen gegen äußere Einwirkungen ab, und ich brauche mich der Umwelt nicht mehr auszusetzen. Würden die Bits nichts mehr bedeuten, würde diese Watte weggerissen.

Präsenz und Repräsentation

Geht man davon aus, daß die Bits Universalzeichen sind, so stellt sich die Frage, ob sie auch alles abzubilden in der Lage sind. Das, denke ich, können die Bits nicht. Sie können die Welt nur in ihre abbildbaren und nicht abbildbaren Aspekte trennen, und das berührt einen alten Streit in der Symboltheorie: Ist das, was abgebildet wird, in einem Symbol abwesend oder anwesend? Ist Gott in der Hostie anwesend oder abwesend? Wenn die Hostie Gott nur ,,repräsentiert" oder ,,symbolisiert", dann ist sie einfach ein Gebäck, und das hätte mit Präsenz nichts zu tun. Schon zwischen Luther und einem anderen großen Reformator gab es diesen Streit. Luther vertrat einen fundamentalistischen Standpunkt, indem er sagte, die Hostie und der Wein sind Gott: ,,Das ist mein Leib, das ist mein Blut." So gesehen, ist das christliche Abendmahl symbolischer Kannibalismus. Und auch dazu vertrat Luther eine eindeutige Position: Wir sollen Gott essen. Er ging sogar soweit zu sagen, wenn die Hostie Gott nur repräsentierte, dann ginge ein Weltbild zugrunde. Und er behielt recht damit, denn das Paradoxe an einem religiösen Symbol ist ja gerade, daß es Unvereinbares miteinander vereinbart, daß es Präsenz und Repräsentation verbindet - Gott ist darin gleichzeitig anwesend und abwesend. Beispielsweise ist in der Augustinischen Trinität Gott gleichzeitig einfach und vielfach, womit in Gott paradoxale Dinge verbunden werden. Und darin liegt eine Vermittlungsfunktion. Das christliche Konstrukt des Menschensohns verbindet Göttliches und Menschliches. Jesus Christus ist sterblich und unsterblich, Gott und Mensch zugleich, im Himmel und auf Erden. Im ,,Menschensohn" werden also paradoxale Dinge vereint, dabei wird Gott in verschiedene Positionen geteilt, in die des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, und zugleich wird die Einheit dieser geteilten Positionen postuliert. Augustinus bezeichnet Jesus deshalb als ,,Medium", weil das Paradox des Menschensohns es erlaubt, daß der Mensch als endliches Wesen am Unendlichen teilhat. Wer heute wissen will, was Neue Medien sind, tut gut daran zu fragen, was alte Medien früher einmal waren. Ein von Paradoxien gereinigtes Symbol, z.B. der zweiwertige Maschinencode, leistet diese Vermittlungsfunktion nicht, d.h., Gott wird aus der Welt entfernt. Eine solchermaßen säkularisierte Welt ist mit Gott nicht kompatibel. Jedes religiöse Symbol läuft letztlich darauf hinaus, Präsenz und Repräsentation miteinander zu verbinden.

Es ist übrigens auch sehr christlich zu sagen, daß Geld ein reines Repräsentationsmittel ist. D.h., im Geld ist der Wert von dem, was repräsentiert wird, nicht anwesend, sondern abwesend. Christlich bedeutet das die Trennung zwischen Gott und Geld, also die Trennung der beiden Welten im Sinne von: Laßt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist. Das ist eine typisch christliche Sicht der Dinge, die Präsenz und Repräsentation voneinander trennt. Die Welt des Geldes und die Welt des Kaisers werden als nicht kompatibel erklärt mit dem, was man vielleicht als ein religiöses Symbol bezeichnen könnte.

In der Geldtheorie ist das heute beantwortet. Früher hat man noch gesagt, der Metallwert ist der Geldwert, also der Materialwert des Geldes sei identisch mit dem Geldwert. Spätestens seit der Banknote ist das aber nicht mehr haltbar. Der Produktionswert dieses Stückchens Papier steht in keinem Verhältnis dazu, was die Note an Wert repräsentiert. Der Materialwert und der Geldwert - im Sinne der ökonomischen Kategorie des Wertes - haben nichts mehr miteinander zu tun. Der Wert des Geldes ist also im Material abwesend und nicht anwesend, im Gegensatz zum ,,Wert" der Hostie. Der Wert des Geldes kann sich nur realisieren, wenn ein Austausch stattfindet, wenn ich also auf den Markt gehe, dort meine Waren oder Informationen zu Markte trage, Käufer finde und mit diesen Käufern einen Tauschakt vollziehe. Der Wert des Geldes ist ein Zeichenwert, ein nominalistischer Wert. Die sogenannten Realisten haben eigentlich seit der Banknote, spätestens aber seit dem Sturz des Goldstandards, keinen Rückhalt mehr.

Symbolum und Diaboli

Es ist interessant, daß das Wort symbolum auch einen ganz ökonomischen Sinn hat. Es kommt vom griechischen sym-ballein (=zusammenwerfen) und wurde in den ersten Jahrhunderten vor Christus in die römische Kaufmannssprache transportiert. War eine Schuld entstanden, wurde sie mit dem symbolum beglichen. Es wurde z.B. eine Vase zerbrochen, wobei der Gläubiger die eine Hälfte bekam, die andere wurde öffentlich hinterlegt. Das Zusammenpassen der beiden Vasenhälften war für den Gläubiger die Urkunde, mit der er sich als Gläubiger zu Recht auswies - heute vielleicht vergleichbar mit einer Unterschrift. Das symbolum ist folglich das Zusammenfügen von Bruchstücken, und wenn diese getrennt sind, dann stehen sie nicht im Singular. Solange die Schuld noch offen ist, sind die Vorsilbe ,,sym" (=zusammen) und der Singular unpassend. Stattdessen muß es ,,dia" (=getrennt) heißen, und ,,bolum" steht im Plural. Sprachlich ergibt sich daraus ,,dia-boli", der Plural und das Von-Einander-Getrennt-Sein. Die diaboli sind sozusagen die Teufels- und Schuldscheine, die die nicht beglichene Schuld ausdrücken. Das Wort symbolum hat dabei nicht nur einen ökonomischen Anklang, sondern einen religiösen, denn ein paar Jahrhunderte später ist das symbolum das christliche Glaubensbekenntnis als Schuldbekenntnis gegenüber dem Gläubigergott. So heißt es auch im Vaterunser, ,,vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern". Im übrigen enthält das christliche Glaubensbekenntnis, gleich in welcher Version, immer ein Bekenntnis zur Trinität, d.h. zur Dreieinigkeit Gottes, und verweist damit auf das unmittelbare Sprachbild: Das symbolum fügt die Bruchstücke Gottes zu einem Ganzen. ,,Ganz" heißt nicht ,,heil", und die Bruchstellen sind weiterhin sichtbar - im Kreuzestod des Menschensohns, in der Opferung Gottes.

Mich interessierte schon immer das Verhältnis von äußerer und innerer Schuld, Ökonomie und Sünde. Es gibt offenbar in der Geschichte des Christentums und anderer Religionen sich abwechselnde Phasen der Verinnerlichung und Veräußerlichung. Das Paulinische Christentum war eine Verinnerlichung, und dies scheint allgemein für religiöse Erneuerungen zu gelten. Paulus ersetzte die äußere Beschneidung der Juden, d.h. die Beschneidung ,,am Körper", durch die innere Beschneidung ,,im Geiste". Er etablierte damit gegen die Thora, das äußere Gesetz der Juden, ein inneres Gesetz. Umgekehrt sehen wir beim Ablaßhandel, kurz vor der Reformation, eine reine Veräußerlichung der Schuld. Dort zirkuliert die Schuld fröhlich als Wertpapier, d.h. etwas salopp ausgedrückt, man konnte auf Kredit sündigen. Und diese Veräußerlichung von etwas Innerem - d.h. die Profanisierung von ,,Sünde" in bürgerliches Schuldrecht - ist nichts anderes als Ökonomie. Wenn wir heute in den Supermarkt gehen und uns mit Hilfe von Bits Waren kaufen, dann ist das ein Prozeß der Veräußerlichung, der Externalisierung. Das hat nichts zu tun mit dem religiösen Begriff des Symbols. Ich will damit sagen, daß ein reines Zeichen nicht alles abbilden kann, sondern daß der Prozeß der Externalisierung ein Prozeß der Säkularisierung ist, der Ausscheidung Gottes. Die Trennung der Welt in ihre abbildbaren und nicht abbildbaren Aspekte heißt einfach, daß alles Abbildbare in eine endliche Form überführt wird. Was dabei herauskommt, ist nicht die Realität an sich, sondern eine amputierte Realität, und die Frage bleibt: Was ist mit diesem anderen nicht-abbildbaren Teil? Die spezifisch christliche Lösung ist die Trennung der beiden Welten - der Welt des Kaisers und der Welt Gottes. Das christliche Symbol ist nicht kompatibel mit der Welt des Geldes und, vor dem Hintergrund der modernen Semiotik, mit der Welt der konventionellen Zeichen.

Demontage - Montage

Der Begriff ,,Symbol" ist natürlich belastet, denn es gibt ja auch in der Zeichentheorie den Begriff des Symbols im Sinne eines konventionellen Zeichens (bei Pierce). Damit Symbol und Zeichen nicht gleich gebraucht werden, muß man sich einigen, wie man den Begriff Symbol verwendet. Ich gebrauche den Begriff im Sinne von Goethe. Ein Symbol ist demnach immer etwas, das über sich selbst hinausweist, das also Unendlichkeit zu transformieren vermag. Für mich lautet die Frage: Wann kann in einem Zeichen noch etwas mitschwingen, das über das Zeichen hinausweist und es als Symbol ausweist? Ein Zeichen transportiert, wenn es analog ist, Ganzheiten, und wenn ich nach der kleinsten Einheit frage, dann sind das Kontinuen, Ganzheiten, mathematisch gesprochen Kurven. Im Binärcode werden diskrete Punktmengen transportiert, alles wird in die Form der Diskretion und Sukzession übertragen, wobei es um die Trennung von Zuständen und um die Tatsache der Grenzziehung geht. In der Wirklichkeit sind die Grenzen aber fließend, und die Struktur von Bits und von konventionellen Zeichen entspricht nicht der Struktur der Wirklichkeit - sofern ich davon ausgehe, daß die Wirklichkeit nicht diskret und binär ist. Dafür gibt es für mich keinen Anhaltspunkt. Für Wachstumsprozesse müssen Außengrenzen fließend sein, im Binärcode dagegen werden Grenzen gesetzt und fixiert.

Das Prinzip der Maschine ist, etwas in kleinste Informationseinheiten zu zerlegen und anschließend wieder zusammenzusetzen. Dazu muß ich zwei Zustände, Null und Eins, voneinander unterscheiden, und da es dabei unerheblich ist, was unterschieden wird, wird der Inhalt austauschbar. Das macht die Dinge - den Inhalt, die Kategorie, die Substanz - austauschbar. Natürlich hat das mehr als nur ökonomische Implikationen, denn hier sind wir wieder bei dem Begriff der reinen Information. Diese Reinheit bedeutet nicht, daß sich eine Zeichenwelt von der Wirklichkeit abtrennt, sondern daß die Zeichenwelt einen Transformationsmechanismus in Gang setzt, innerhalb dessen Bedeutungen und Sinnzusammenhänge demontiert und wieder neu montiert werden. Ich bleibe nicht dabei stehen zu sagen, sie werden nur demontiert, und es entsteht dann einfach kein Sinn mehr. Selbstverständlich werden sie auch montiert, und das ist ja das Neue, sonst müßte ich ja von der Auflösung der Medien sprechen - statt von Neuen Medien. Mich interessiert, nach diesem Neuen und nach der Montage zu fragen - oder vielmehr, Montage und Demontage als einen Vorgang, als ein symbolum zu betrachten. Die Frage nach dem ,,Kontext" ist identisch mit der nach dem ,,Fragment". Der kleinste Teil ist der Einheitsstifter, und dieser kleinste Teil ist ein Bit. Die Bits zerlegen nicht nur, sondern von ihnen geht eine synthetische Kraft aus. Der ,,Kontext" der Technik ist die Maschinensprache.

Sprache - Maschine - Geld

Man spricht immer wieder vom Ende der alphabetischen Schriftkultur. Das Alphabet verschwindet aber nicht, sondern wird von einem 26-wertigen Alphabet in ein zweiwertiges Grundalphabet transformiert - in eine elektronische Universalschrift. Diese elektronische Schrift unterscheidet sich vom bisherigen Alphabet darin, daß sie nur von Maschinen und nicht von Menschen gelesen werden kann. Das Alphabet ist aber auch eine Maschine, im Sinne eines formalen Transformationsmechanismus, nur ist der Mensch in die Schreib- und Lesevorgänge ganz anders einbezogen. Mit den Bits als Grundalphabet ändert sich deshalb das Verhältnis von Mensch und Maschine bzw. von Abbild und Realität. Der Umbruch, der stattfindet, besteht nicht darin, daß die Bedeutung verschwindet. Die Realität läßt nicht plötzlich ihre Hardware fallen, so wie eine leichte Dame ihre Hüllen, um sodann in reinen Zeichen aufzugehen. Die Zeichen und Bedeutungen werden vielmehr austauschbar. Lineare Strukturen werden von Netzstrukturen abgelöst. Netzstruktur - vielleicht eine schärfere Fassung des Begriffes Simulation - heißt, daß ein System nicht einer linearen oder chronologischen Ordnung folgt. In der Betriebswirtschaft sagt man, Aufbau- und Ablauforganisation weichen voneinander ab. Ein Fließband - ein Beispiel aus der Betriebswirtschaft - arbeitet chronologisch, die Arbeitsgänge werden im Raum genauso wie in der Zeit organisiert. Räumliche und zeitliche Gliederungen entsprechen sich also. In der computerintegrierten Fertigung dagegen weicht der räumliche Aufbau einer Produktionshalle vom zeitlichen Ablauf der Arbeitsgänge ab, was im Grunde dem Netzmodell des Computers entspricht. Die Netzstruktur läßt verschiedene Variationen offen. Dadurch wird das beim Fließband vorrangige Kopierprinzip durch ein Variationsprinzip abgelöst, und die verschiedenen Realisierungen können ,,in der Zeit" permutieren. Natürlich müssen sich diese Permutationen innerhalb des strukturellen Rahmens bewegen, vergleichbar mit einem Schachzug, der nur innerhalb der Schachregeln variieren kann. Und ob dieses Variationsprinzip, wie es Josef Weizenbaum einmal ausgedrückt hat, nur zu einer ,,unterschiedslosen Verschiedenheit" führt, das sei einmal dahingestellt. Entscheidend ist, daß die Struktur des Raumes von der aktuellen Realisierung ,,in der Zeit" abweicht. In der computerintegrierten Fertigung reiben sich also Raum und Zeit. Und diese Reibung setzt Kräfte frei - Reibungsverluste und nutzbare Energie. Dadurch entstehen virtuelle Räume, d.h. Möglichkeiten (potentialitas), nicht Wirklichkeiten (actualitas). Das ist für mich eine neue Fassung des Begriffes ,,Simulation". Durch die Reibung von Raum und Zeit produziert die Simulation virtuelle Räume. Diese werden realisiert, wenn die Raum- und Zeitsplitter wieder zusammengeführt werden - mit Hilfe von Information. Der semiotische Prozeß muß dafür abgeschlossen werden, nur so entsteht Wirklichkeit. Anders ausgedrückt, die Simulation ist Geld vor dem Verkaufsakt. Um Wert und Geltung zu erhalten, muß das Geld realisiert werden, d.h., der letzte Transaktionsakt, nämlich der Verkauf, muß gelingen. Das Geld wäre sonst kein Geld, es wäre als Tauschmittel wertlos. Ebenso müssen die Zeichen ihre Bedeutung realisieren, sie würden sonst ihren Charakter als Zeichen verlieren. Das wäre dann unter semiotischem Müll abzuhandeln. Dieses Verständnis von Simulation ist sehr strukturalistisch, hat aber den Vorteil, die peinliche Begriffsverwirrung, die mit dem Wort Simulation einhergeht, zu vermeiden. Wenn z.B. von Simulation die Rede ist, dann meistens im Zusammenhang von ,,etwas vortäuschen". Das ist nostalgisch, weil ein Vortäuschen sich am Original orientiert. Das würde bedeuten, von einem originalen Geldschein auszugehen, und genau das ist nicht die Funktion des Geldes. Der Sinn des Geldes besteht gerade darin, Originale und Identitäten zu zerstören. Geldtausch, im Gegensatz zum Naturaltausch, heißt Verlust und Tötung des Originals. Das Original wird dabei geopfert. ,,Geld" kommt nämlich von ,,Geltung", nicht von ,,Gold", und heißt ,,Opfer". Es macht keinen Sinn, den Geldschein an irgendeiner Echtheit, Originalität oder Authentizität zu messen. Das wäre für mich eine nostalgische Definition von Simulation. Simulation ist das Auseinanderfallen von Struktur und Geschichte, und wenn ich sage, das ist identisch mit Geld - in einem sehr abstrakten Sinne, aber Geld ist abstrakt -, dann heißt das einfach, daß Geld eine immaterielle gesellschaftliche Relation ist. Die ,,Struktur des Geldes" ist dabei identisch mit dem Geld selber, d.h., das Geld ist Struktur, ebenso wie die Struktur der Maschine identisch mit der Maschine ist. Es geht darum, einen neuen Begriff von Maschine, von Geld und auch von Maschinensprache zu fassen, der strukturell definiert ist. Die drei Dinge - Maschinensprache, Maschine und Geld - sind strukturell identisch. Diese Betrachtung hat strukturalistische Tradition, so ist sie bei Saussure als diachrone und synchrone Betrachtung bekannt, bzw. als ,,langue" und ,,parole". ,,Langue" ist die Struktur der Sprache, und ,,parole" ist das Sprechen in der Zeit. Ebenso, wie ich in der Zeit nur hintereinander sprechen kann, kann ein Prozessor nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt den Zustand Null und den Zustand Eins annehmen. Auch der Computer kann nur hintereinander und nicht auf einmal sprechen. Aber die Struktur des Computers erlaubt, auf verschiedene Weisen hintereinander zu sprechen. D.h., das Netz der Sprache ist über die Zeit gespannt und geht im Sprechen nicht auf. Genau dadurch entsteht ein virtueller Raum, in dessen Rahmen das Sprechen im Saussur'schen Sinne permutieren kann.

Kopie und Variation

Das, was Walter Benjamin in ,,Das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit" ausführt, ist auch auf andere Dinge außerhalb der Kunst übertragbar. Es geht Walter Benjamin um die Tatsache der Reproduzierbarkeit an sich. Daß Dinge reproduziert werden, gibt es, seit es Ökonomie und Massenproduktion gibt. Die Neuerung besteht heute darin, daß das reine Kopierprinzip, das mit dem Fließband Henry Fords verbunden ist, in ein Variationsprinzip umgewandelt wird. Wie erwähnt, läßt sich das mit der Struktur des Computers vergleichen und bewirkt ein Auseinanderfallen von Raum und Zeit, Struktur und Geschichte. Eine Produktionshalle ist heute aufgebaut wie ein Parallelrechner, und die Lagerhalle funktioniert wie ein Informationsspeicher. Die Waren rotieren innerhalb der Regale, wobei es nicht mehr festdefinierte Regale mit festdefinierten Inhalten gibt. Das Modell des Informationsspeichers ist somit das Vorbild für die Speicherung von materiellen Dingen und Waren: random access memory (wahlfreier Zugriff), d.h. variabler Speicherinhalt, feste Speicheradresse. Es ist für mich ein interessantes Phänomen, daß die Organisation von materiellen Dingen in Lagerhallen und Produktionsstätten der Organisation von Daten folgt. Die Datenorganisation wird damit zum Vorbild für die Betriebsorganisation und vielleicht auch für die Gesellschaft überhaupt, wenn ich das jetzt über die Produktionshallen hinaus extrapoliere. Mit den fahrerlosen Transportsystemen in den Geisterhallen von VW etwa haben wir ein Modell für die Urbanistik.

Das ist selbstverständlich ganz gravierend für die Betriebswirtschaft, denn in der Betriebswirtschaft hat man bei der Einführung des Computers bisher anders herum gedacht. Der Computer oder das computerintegrierte Manufactoring waren marketinginduziert. Man hat es aus den individuellen Konsumwünschen des Käufers abgeleitet. Der Käufer will heute seine individuellen Spleens verwirklicht haben. Er will kein Einheitsprodukt, und das System, das ihm dies ermöglicht, ist eben die computerintegrierte Fertigung, die eine große Variationsbreite ermöglicht. In dem Moment, als man den Computer eingeführt hat, hat er eine Eigendynamik entwickelt und seine Struktur der ganzen Betriebshalle und dem gesamten Unternehmen auferlegt. Der ursprüngliche Anlaß, der vielleicht marketing- und marktinduziert war, ist in den Hintergrund getreten. Es gibt heute eine Eigendynamik von Informationssystemen, die zum Modell werden für die gesamte Betriebsorganisation im Sinne eines Zauberlehrlingseffektes. Man führt etwas ein, ohne zu wissen, auf was man sich einläßt. Dabei ist es egal, ob ich von Betriebswirtschaft, Kunst oder von irgend etwas anderem rede.

Abbild und Ethik

Die Dynamik des Computers wird sicherlich auch erhebliche Auswirkungen auf die Kunst haben, denn die Möglichkeit einer universellen Abbildung, wie der Binärcode sie darstellt, berührt jeden Aspekt der Realität. In welcher Weise sich das auf die Kunst auswirkt, darüber kann ich nur Vermutungen anstellen. Ich könnte mir aber vorstellen, daß Kunst nicht nur etwas mit Repräsentation zu tun hat, sondern auch mit Präsenz. Das ist ein altmodischer Standpunkt, dessen bin ich mir bewußt, weil ich damit einen auratischen Kunstbegriff strapaziere. Aber vielleicht ist Kunst mehr als nur einfach Repräsentation. Kunst müßte sich also an Paradoxien abarbeiten - im Sinne des alten Symbolbegriffes, daß Zeichen, mit denen die Kunst zu tun hat, nicht nur repräsentieren, sondern auch etwas präsent machen.

Hierbei geht es, weil es im Grunde ein religiöses Thema ist, um das Stellvertreterprinzip. Die katholische Kirche versteht sich seit 1215 im Gegensatz zur früheren Altkirche - diese war Nachfolger Petri - als Stellvertreter Gottes auf Erden. Abgesehen von der Anmaßung, die darin liegt, setzt das Stellvertreterprinzip zwischen Gott und Mensch ein Delegationsprinzip, auf dem auch unsere moderne Demokratie, unser Staat und die Arbeitsteilung basieren. Dieses Stellvertreterprinzip demontiert einen gesellschaftlichen Sinn erst einmal in einzelne Spezialisierungen, und Kunst hat nicht nur etwas mit Demontage zu tun, sondern mit der Montage eines dahinterliegenden Sinnes, auch wenn dieser Sinn dem Alten Testament zufolge nicht abbildbar ist. Daß man Gott nicht abbilden darf, steht ja im Alten Testament. Das Christentum hat diese Frage im Bilderstreit zugunsten der Abbildung Gottes entschieden, wogegen das Judentum und der Islam einen anderen Weg gegangen sind. Deswegen haben wir heute die Flut der Bilder, weil wir im christlichen Abendland kein Immunsystem entwickelt haben gegen die Abbildung Gottes und gegen die Abbildung der Wirklichkeit. Ich will hier nicht einem anachronistischen Bilderverbot das Wort reden, sondern eher einem Immunsystem, das entwickelt werden müßte. Wenn ich einen Menschen total abbilde, seine taktilen, seine visuellen, seine akustischen Aspekte oder gar seinen genetischen Code, dann habe ich ein binäres Modell wie bereits in der Agrarwirtschaft. Ich greife in die Evolution ein, indem ich Menschen designe, oder, was heute schon der Fall ist, Pflanzen designe, die nach dem Null/ Eins-Prinzip funktionieren - bei Behandlung mit einem universellen Pflanzenschutzmittel stirbt alles andere ab, nur die Nutzpflanze bleibt übrig, weil in ihr Gen eine bestimmte Sequenz eingefügt wurde, die sie dagegen immun macht. Heute sollte nicht die Frage im Vordergrund stehen, was abzubilden alles möglich ist, sondern vielmehr: Was ist davon wünschenswert? Die Informationstechnologie darf nicht alles machen, wozu sie imstande ist. Dieser Faszination zu widerstehen, dazu braucht es ein Immunsystem und eine Ethik.

Vorbild - Abbild - Nachbild

Abbild ist ein verwirrender Begriff, denn jedem Abbild entsprechen auch ein Vorbild und ein Nachbild - und nicht nur eine äußere Realität, sondern ein inneres Bild und ein geistiger Prozeß. Das Wort ,,Abbild" suggeriert, daß es sich an einem Vorbild orientiert und zeitlich diesem Vorbild folgt, also sozusagen eine Kopie des Vorbildes ist. Dabei wird vergessen, daß Abbilder immer auch umbilden. Eigentlich wäre der Begriff ,,Umbild" zutreffender. Es geht hier um einen Transformationsprozeß, um die Überführung der Kopie in die Variante.

Walter Benjamin hat einmal gesagt, das Schöpferische sei in seinem tiefsten Wesen Variante. Dieser Satz stimmt nur, glaube ich, wenn mit Variante auch eine geistige Auseinandersetzung gemeint ist und nicht das maschinelle Variationsprinzip, das die Varianten innerhalb einer feststehenden Struktur nur permutieren läßt. Denn Information ist nicht Geist, Geist ist etwas Undeterminiertes. Das ist eine idealistische Position innerhalb der Philosophiegeschichte. In diesem Punkt bin ich Idealist.

Das binäre Infinitesimalkalkül

Seit Kant gibt es das ,,synthetische Urteil a priori". Synthetisches Urteil heißt, daß zunächst eine Analyse stattfindet und das synthetische Urteil nachher erst vollzogen werden kann. Normalerweise ist dieses Urteil induktiv, es ist also a posteriori, im nachhinein. Nach Kant ist ein Urteil im nachhinein nur möglich, wenn schon ein Urteil ,,im voraus" stattgefunden hat. Das ist logisch gesehen ein Widerspruch, denn es muß vorher schon ein Urteil stattgefunden haben, bevor ich urteilen kann. Damit verbindet sich die Frage des unendlichen Regresses: Was steht am Anfang, das Ei oder die Henne? Diese Frage ist logisch nicht beantwortbar. Das synthetische Urteil a priori ist undeterminiert, logisch nicht beantwortbar, und ich kann es nicht in einem logischen oder zeitlichen Modell fassen. Dennoch ist evident, daß es Eier und und daß es Hühner gibt, und daß die Realität gewissermaßen gleichgültig ist gegenüber unserem logischen Problem. Kant hat das Problem gelöst, indem er ein synthetisches Urteil a priori erfunden hat, und dieses synthetische Urteil a priori ist für mich eine undeterminierte Idee. Der Computer ist ein binäres Infinitesimalkalkül, ein Urteil a posteriori - Ur-Teil im ganz wortwörtlichen Sinn, nämlich daß etwas geteilt wird. So versteht es ja auch Saussure: Artikulation ist die Teilung eines Sprachfeldes, im Sinne eines sprachlichen Atommodelles, und wenn ich diesen Zerlegungsprozeß weitertreibe, bis es nicht mehr weiter geht, dann endet dies nicht in der Einheit. Die Einheit ist undeterminiert, ist Gott. Dagegen endet der Computer in der Zweiheit, in binary digits. Das ist im Grunde wiederum ein altes Thema der christlichen Trinität, wieso Gott eins ist und vielfach gleichzeitig. Augustinus war deswegen Agnostiker, weil die Einheit und Vielfalt, also die Dreieinigkeit Gottes, mit Hilfe der Logik nicht zu vereinbaren sind. Die Aristotelische Logik und das ,,Gesetz des ausgeschlossenen Dritten"1 verhindert das.

Daß Identität im Austausch steht mit Nicht-Identität, ist eine reale Wachstumsbedingung, denn um identisch zu sein, muß ich mich auch verändern können. Die Konzeption einer reinen Identität wäre eine hermetische Identität und würde eine hermetische Ganzheit darstellen, die das Nichtganze biedermeierlich im Sinne einer Idylle ignoriert und alles Nicht-Idyllische willkürlich ausgrenzt. Bei der Trinität geht es aber um eine gebrochene Ganzheit.

Thomas von Aquin stellt die Frage, weshalb Dinge verschieden sein und trotzdem zusammenhängen können - oder besser: Wie sie als begrenzte Teile am Unbegrenzten teilhaben, weil sie verschieden sind. Das führt er auf die Analogie des Seins zurück, die eine Metapher für Gott ist. D.h., die Dinge bergen ein Gemeinsames - nicht trotz, sondern wegen ihrer Verschiedenheit. Das ist eine paradoxale Analogie, die nicht alles auf Ähnlichkeit zurückführt und Neues dem Bekannten unterordnet.

Wahrheit und Wiederholung

Die Antike und die griechischen Philosophen, vor allem seit Platon, gingen davon aus, Erkenntnis sei immer Wiedererkenntnis. Demnach gibt es innerhalb der reinen Erkenntnis keine Innovation: Die Erkenntnis beruht auf Wiederholung, weil sie Neues auf Bekanntes zurückführt, indem sie zwischen beidem Ähnlichkeit stiftet. Die ,,Innovation" kommt deshalb von außerhalb der Erkenntnis, und die Ideen, die den Menschen innewohnen, werden im Akt des Erkennens wie von einer Hebamme bei der Geburt entborgen - deshalb sei Erkenntnis Mäeutik (= Hebammenkunst, Geburtshilfe). Die Mäeutik folgt streng der Vorstellung, daß Erkenntnis nur Dinge hervorholen kann, die schon vorhanden sind. Sie ist Geburtshilfe, nicht der Gebärvorgang selber. Und was sie im dialektischen Gespräch wieder-holt, d.h. wieder hervorholt - wie eine Hebamme mit der Geburtszange -, das sind die vorgeburtlichen Ideen. Der Pythagoräischen Wiedergeburtslehre zufolge wurden diese Ideen vor der Geburt im Reich der Vollkommenheit geschaut und werden während der Geburt vergessen - beim Durchschreiten von Lethe nämlich, dem Fluß des Vergessens. Und von diesem Fluß sind - in der Verneinung (griech. aletheia) - die Erkenntnis und die Wahrheit abgeleitet. Erkenntnis handelt nur davon, das Vergessene wieder zu Tage zu fördern. Sie kann selbst nichts Neues schaffen. Um im Bild zu bleiben: Sie kann nicht gebären. Erkenntnis für sich genommen ist immer unfruchtbar. Die a-letheia, d.h. das Unverborgene, dem Vergessen Entzogene, beruht also auf dem Wiederaufdecken des Verborgenen. Wir übersetzen dies heute mit ,,Wahrheit". Aber in dem Platonischen System ist der Gegensatz von ,,wahr" nicht ,,falsch", sondern ,,verborgen". Erst Martin Heidegger hat diesen griechischen Wortsinn wieder ins Bewußtsein gerufen und ,,aletheia" mit ,,Unverborgenheit" übersetzt. (Rein sprachlich wäre das deutsche Wort ,,Offenbarung" näherliegend, doch dieses Wort ist theologisch vorbelastet.) Dabei finde ich interessant, daß Erkenntnis als ein hermetisches System begriffen wird, und daß Erkenntnis, um innovativ zu sein, ein Außen braucht, eine Transzendenz.

Bei der formalen Logik des Aristoteles und beim ,,Gesetz des ausgeschlossenen Dritten" geht es, wie der Satz ja schon besagt, nicht um den Einschluß eines Widerspruchs. Die Aristotelische Logik wurde heute einfach nur externalisiert auf eine Maschine. In diesem Sinne ist Maschinensprache ,,eine Form und keine Substanz" (Saussure). Auch im religiösen Sinne eines Abbildverbotes kann die Substanz nicht bezeichnet werden, was aber nicht ausschließt, daß es sie gibt. Laotse hat einmal gesagt, der große Sinn hat keinen Namen. D.h. nicht, daß es diesen großen Sinn nicht gibt, aber er läßt sich nicht bezeichnen. Man kann daraus verschiedene Schlüsse ziehen, die Frage nach dem Sinn für unsinnig halten und die Ontologie ablehnen. Ich kann hypothetisch dem christlichen Bilderverbot folgen, die Sinnfrage ausklammern oder eine Synthese aus diesen beiden Standpunkten bilden. Das wäre negative Theologie, wie etwa bei Meister Eckhart, der den Begriff Gottes zerstört, um zu begreifen, was Gott ist. Sinn entsteht hier durch Demontage der Bedeutung.

Wenn Bedeutung etwas Gemachtes und Sinn etwas Gegebenes ist, dann ist jeder Versuch, Sinn zu benennen, eine Verkleinerung des Sinns. Davon handeln Repräsentationssysteme, die nicht ,,sinnvoll" sind, denn sie weisen bloß Bedeutungen zu, welche begrenzt sind. Das hat mit den Grenzen der Sprache zu tun, und angenommen, ich lasse etwas mit Hilfe der Sprache mitschwingen, was außerhalb der Sprache liegt, dann bin ich wieder beim alten Symbolbegriff, nämlich daß Symbole nicht einfach etwas bedeuten oder repräsentieren, sondern auch etwas präsent machen sollen.

Kontext: Raum - Zeit - Medium

Mir geht es um einen relativen Wertbegriff, und ich will den Wert nicht ontologisch, sondern formal fassen. Das ist keine Ontologie, sondern Phänomenologie. Wenn es einen Wert gibt, dann immer nur einen relativen Wert in einem Kontext. Einen absoluten und objektiven Wert gibt es nur im religiösen Sinne, und da ist er unbegrenzt, kann nicht benannt werden und liegt außerhalb der Sprachfähigkeit. Auch die objektive Arbeitswerttheorie bei Karl Marx ist nur eine Tautologie, denn die Arbeitszeit, die er als objektiven Maßstab angibt, ist kein empirischer Maßstab. Eine Arbeitsstunde ist ja nicht einfach eine Arbeitsstunde, sondern das Verhältnis von einfacher und komplizierter Arbeit setzt sich ,,hinter dem Rücken der Produzenten" durch, woraus wieder eine Relation von Angebot und Nachfrage zum Vorschein kommt. Gerade dieser Relation wollten aber Marx und die anderen objektiven Arbeitswerttheoretiker entgehen, indem sie den Preis nicht aus Angebot und Nachfrage, stattdessen ,,objektiv" erklärten - durch die Arbeit als ,,wertbildende Substanz". Das hat sich als Tautologie erwiesen, sie haben Angebot und Nachfrage aus Angebot und Nachfrage erklärt. Wenn die wertbildende Substanz die Arbeitszeit ist, so wie in der Arbeitswerttheorie, dann habe ich Zeitkontexte: Arbeitszeit und Freizeit. Der homo oeconomicus maximiert seine Freizeit und minimiert seine Arbeitszeit oder gestaltet zumindest diese Arbeit menschlich und definiert sie als Lebenskontext. Der Computer hat heute nicht mit räumlichen Kontexten zu tun - der Raum löst sich auf -, sondern vor allem mit zeitlichen Kontexten. Aber auch Zeit wird zunehmend aperspektivisch, da Zeitzentren immer mehr verschwinden. Die Zeit zerfällt in Arbeitszeit, Freizeit, Urlaubszeit und verliert ihren Charakter als Zentrum. An die Stelle räumlicher und zeitlicher Kontexte treten mediale Kontexte. Um diese Raum- und Zeitsplitter zu integrieren und als gesellschaftliche Biotope zu nutzen, braucht man zunehmend den produktiven Einsatz von Kommunikationsmitteln. D.h., für die Zusammenführung der Raum- und Zeitsplitter braucht man einen medialen Kontext, und darin sehe ich einen produktiven Umgang mit Telekommunikation.

In der Kunst fällt mir auf, daß viele Künstler vom Ergebnis ausgehen, also von den auditiven oder visuellen Medienprodukten, und das führt nur zu einem barocken Umgang mit Telekommunikation. Als entscheidend betrachte ich dagegen die Schnittstellen und Strukturen, die uns von den Medien auferlegt werden und die im Begriffe sind, Wahrnehmung und Wirklichkeit neu zu konstituieren. Demgegenüber ist es verhältnismäßig unwichtig, ob sie dabei Töne oder Bilder produzieren. Das ist Ambiente. Die Strukturen zu thematisieren und verstehen zu lernen, sollte meines Erachtens im Vordergrund stehen. Die Musik ist hierfür ein geeignetes Medium, weil sie zeitlich ist und wie ein Prozessor in der Sukzession arbeitet. Sie ist dem Medium des Computers adäquater, und dadurch wird es möglich, die räumliche Struktur (langue) und die zeitliche Struktur (parole) aneinander zu reiben und das Asynchrone der Neuen Medien zum Vorschein zu bringen. Daß Raumperspektiven auseinanderfallen, das ist schon lange bekannt, aber daß Zeitperspektiven auseinanderfallen - das, denke ich, gehört ins Alltagsbewußtsein.


Fußnoten

  1. Das ,,Gesetz des ausgeschlossenen Dritten" besagt, daß Gegensätze sich ausschließen. So können Dinge nicht gleichzeitig wahr und falsch sein, d.h., jenseits von wahr und falsch kann es nicht etwas Drittes geben. Die Dinge sind also entweder wahr oder falsch und innerhalb einer zweiwertigen Wahrheit widerspruchsfrei. (Anm. d. Red.)

Quellenangabe

Bernhard Vief, Aus einem Gespräch mit Bernhard Vief, Geld als Universalcode. In: SYSTEM-DATEN-WELT-ARCHITEKTUR, Triton-Verlag, Wien 1995, Seite 44 ff.

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