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Media-made: Wie kommen wir uns nahe?

Über die mediale Konstitution und Konstruktion von Welt und Identität

State of Art

Seit Marcel Duchamp kann alles, was im System der Kunst geschieht oder von diesem appropriiert wird, unter bestimmten Produktions-, Ausstellungs- und Vermittlungsbedingungen zur Kunst werden. Im ersten Jahrzehnt seiner Entstehung noch missverstanden, feiert das theoretische Moment des Ready-made spätestens seit den 1950er Jahren von der Konzept-Kunst bis zur Kontext-Kunst seine Revivals. Nicht mehr die vom Künstler erstellten Kunstwerke wie Bilder, Skulpturen und sonstige Artefakte, sondern die ikonologischen, politischen oder ökonomischen System- und Weltbezüge stehen im Mittelpunkt des Interesses. Das Diktum des Duchampschen Ready-made impliziert dabei, dass der Künstler nicht historisches Rudiment und seine Arbeit nicht dekoratives Beiwerk bürgerlicher Behübschungs- und Kompensationsstrategien zu sein hat. Statt dessen hat der Künstler an der Ausdifferenzierung seines Systems, an der Welt als Benutzeroberfläche sowie am sozialen Layout des Gesellschaftlichen zu arbeiten. Kunst hat sich darauf beziehend nach dem Paradigmenwechsel der Moderne, des Industrie- und Medienzeitalters zu einer Kunst zweiter Ordnung entwickelt, innerhalb der sich nicht nur die »Bilder« des Künstlers, sondern auch sein Berufsbild und sein Funktionsfeld in der Gesellschaft gewandelt haben und selbst wiederum Teil der künstlerischen Arbeit geworden sind.

Der für den Import industriell produzierter Gebrauchsgegenstände in das Kunstsystem eingeführte Begriff des Ready-made stellt die Selektion über die Kreation. Nach Duchamp kommt damit »ein Ready-made zu registrieren« einem Rendezvous gleich, bei dem Objekt und Datum sich pünktlich, aber unabhängig von ästhetischen Konventionen treffen. Ready-made, das im Englischen »Konfektion« im Gegensatz zu »Maßarbeit« (on measure) bedeutet, stellt einen Schnittpunkt aus industriellen Normen, sozialen Konventionen und kulturellen Repräsentationsstandards dar. Das Ready-made, das ursprünglich auf die Störung und Dekonstruktion des Als-ob-Modus der Kunst zielte, erscheint heute in seiner gespiegelten Form als Media-made, das die Konstruktion medialer Identität fokussiert. War das Ready-made Ausdruck und Spiegel einer Objektkultur im Zeitalter ihrer seriell-technischen Reproduzierbarkeit, ist das Media-made ein Algorithmus der Zeichenkultur im Zeitalter ihrer global-mediatisierten Generierbarkeit. Nicht mehr Gegenstände und Waren in Form von Objekten, sondern Informationen, Images, Corporate Identities sind das heutige »Material«, aus dem ökonomisch Kapital geschlagen wird und durch das Rezipienten als Konsumenten zu Media-mades transformiert werden.

Unabhängig davon, dass alles, was medientechnisch erzeugt wurde, mit »media-made« umschrieben werden könnte, lassen sich vereinfachend drei Kategorien von Media-mades unterscheiden. Die erste führt das Ready-made auf der Objektebene fort und leitet in Form des Desktop Engineering, der CAD-Programmierung und der 3-D-Printer die serielle in eine individuelle Massenproduktion über. Die zweite Kategorie beschreibt die Media-mades der Immanenz, die die konstitutionellen Eigenschaften des Mediums (vorwiegend künstlerisch) zum Sprechen bringen und seine spezifischen material- und medieninhärenten Bedingungen und Möglichkeiten ­ von der Malerei über die Fotografie, Film und Video bis zur Netzkunst ­ produktiv werden lassen. Die dritte Kategorie bezieht sich schließlich auf die Media-mades der Sozietät und Identität, die nachfolgend zur Disposition stehen.

State of Media

War die industrialisierte Welt von seriell re-produzierten Objekten bzw. von Ready-mades dominiert, führt die mediatisierte Welt reziprok zu einem seriellen Individuationsprozess in Form des Media-made, eines medial konstruierten Subjekts. Da Welt heute weitgehend durch elektronische Medien erzeugt wird, bestimmen weniger Gegenstände und materielle Objekte ­ wie noch zu Duchamps Zeiten ­, sondern Informationen und Programme unsere Alltagswelt. In Anlehnung an Duchamps Aussage, dass »die einzigen Kunstwerke, die in Amerika hergestellt worden sind, (...) seine Objekte des Sanitärbedarfs und seine Brücken« sind, könnten heute die Börsen und das internationale Finanzsystem, elektronische Netze oder der Kult um artifizielle Stars als Kunstwerke der Medialität bezeichnet werden.

Dass Medien maßgeblich an der Produktion von Wirklichkeit beteiligt sind, ist nicht erst seit der Etablierung der so genannten neuen Medien evident. Neu hingegen erscheint vielmehr, dass Medien das Stadium der Abbildung und Simulation verlassen und selbst zum Vorbild für Wirklichkeiten werden. Medien als operativ geschlossene Systeme werden autopoietisch, womit ihre Funktion, zwischen dem Menschen und seiner Welt zu vermitteln, zu einem atavistischen Rudiment geworden ist. Medien haben auf ein autonomes Betriebssystem umgestellt, das eigengesetzliche Wirklichkeiten hervorbringt, womit wir in einem traditionellen Sinne vor dem Ende des Medienzeitalters stehen: Medien stellen keine Prothesen mehr dar, sondern amputieren uns. Daraus resultiert ein Szenarium, in dem nicht mehr wir unsere Körper und deren Funktionen doubeln, sondern unsere Körper zu Doubels idealisierter Entwürfe, Karten oder Modelle werden. Wie in Borges Geschichte vom Volk der Kartografen1, wo die Karte das Land ersetzt, tauschen wir den angestammten natürlichen Körper gegen einen Kunstkörper. Es entsteht ein verschachteltes System aus physischen und psychischen Exo- und Endokörpern, eine Möbiusschleife, die Subjekt und Objekt in sich verwindet. Vergleichbar den Objekten des Industriezeitalters, die zu Ready-mades konfektioniert wurden, werden nun Subjekte zu Media-mades projektiert. Media-mades wiederholen intrinsisch die konsumistischen Rezeptionsstandards der Ready-mades, lösen sich vom Individuellen und Originalen der On-measure-Produktionen und werden nun zu psychischen und physischen Supersettings eines Metaindividuums. In einem invertierten Sinn von Thomas Hobbes verkörpert das Media-made eine Art Leviathan, in dem unterschiedliche politische und ökonomische Interessen konvergieren und ein Metawesen als Ausdruck eines neoliberalen Denkens fertigen, das sozialdarwinistisch alle Wettbewerbsvorteile affirmiert: Nicht Individuen konstituieren einen demokratischen Leviathan, sondern das Individuum wird mit dem Leviathan der Imagepolitik operativ kurzgeschlossen. Das heißt, die Karten der Orientierung, der Kompatibilität und Komparabilität, auf denen Kommunikation immer schon aufbaute und die das Programm der konnektivistischen Struktur unserer Kultur seit jeher steuerten, gründen im Namen der Medien und der Industrie eine kosmisch/kosmetische Matrix, aus der die neuen Subjektstandards für eine optimierte Biografie und Gesellschaft der Mediamades erwachsen. Objekt und Subjekt, Ready-made und Media-made werden zu antagonistischen Doubles, die ihr Telos erreicht haben, sobald das Objekt sich seinen Subjekten und das Subjekt sich seinen Objekten unterworfen hat.

Extensions of Man

Wie Marcel Duchamp mit seinen Ready-mades erkannte auch Walter Benjamin, dass Kunstwerke nicht länger als Hervorbringungen Einzelner anzusehen sind, sondern »kollektive Gebilde« darstellen. Die Bedingungen der industriellen Massen- und Serienproduktion greifen auf die kulturellen und gesellschaftlichen Verhältnisse über und sprengen somit gleichzeitig den Werkcharakter von Kunst als auch die Einheit des Subjekts. Kunstwerk und Subjekt interferieren mit den modernen kulturellen Codes, womit sich einerseits Autor und Werk als soziale Konstrukte erweisen und andererseits der Mensch im Kontext der Technokultur seine Privilegien auf Originalität und Genialität verliert. Nach Günther Anders befällt den modernen Menschen eine Scham gegenüber den von ihm selbst geschaffenen Objekten. Diese prometheische Scham resultiert aus einer Antiquiertheit gegenüber technischen Gegenständen, die durch eine Anpassung an die Apparatewelt zu kompensieren versucht wird: »Die Tatsache der täglich wachsenden A-synchronisiertheit des Menschen mit seiner Produktwelt, die Tatsache des von Tag zu Tag breiter werdenden Abstands, nennen wir das prometheische Gefälle.«2 Angesichts der rasanten technischen Evolution wird sich der Mensch seines Gefängnisses der langsamen natürlichen Evolution bewusst, und es entsteht der Wunsch nach einer autoevolutiven Kraft, die den Mangel »geworden, statt gemacht zu sein« korrigieren soll. Der Mensch wird damit Abbild seiner Bilder, was zu einer künstlichen Transformation des Körpers und der Psyche führt. Diese adaptiven Transformationen reichen von Fitness, Kosmetik, Schönheitschirurgie über Bio- und Gentechnologie bis zu virtuellen Phantomisierungen und Avatarisierungen. Nicht der Mensch spielt länger Prometheus, sondern die Technik selbst wird zu diesem und macht den Menschen zu ihrem Epimetheus. Und dieses epimetheische Gefühl führt wiederum zu einer schizophrenen Lebenssituation, die durch eine Fraktalisierung der Identität gekennzeichnet ist. Die scheinbar einzigen existentiellen Optionen, die hier bleiben, bestehen entweder in der Cyborgisierung und der damit verbundenen Gefahr, von der Technik verschluckt zu werden, oder in der Flucht aus der Medialität zur Rettung einer idealisierten Individualität. Genau diesen ausweglosen schizophrenen Kampf führte etwa der Unabomber Theodore Kaczynski als postmoderner Don Quijote gegen Computer, Fernsehen und Gentechnik.3

Endo Cybernetic Artificial Star

Auch wenn es heute nicht genügt, Lara Croft, E-CYAS oder Kyoko Date als Media-mades künstlerisch zu appropriieren, sind sie wie einst ein Urinoir oder Flaschentrockner Symbol und Fluchtpunkt eines gesellschaftlichen Sinnhorizontes und aktualisieren Fragen nach unserer kulturellen und psychischen Identität: Sind Media-mades der Ausdruck totaler Konditionierung und Indoktrinierung, oder beherbergen sie auch die Kontingenz und Freiheit einer selbstbestimmten Wahl dessen, was ehemals als Subjekt und Identität gegolten hat? Welche Interessen konzentrieren sich in Media-mades? Forcieren diese die neoliberale Trennung der Gesellschaft in Produzenten und Konsumenten, Programmierern und Programmierten, oder emanzipieren sich dadurch erst Konsumenten zu hinterfragenden und handelnden Partizipienten? Transformiert ein Leben in medialen Netzen unsere Identität zu einem Patchwork aus künstlichen Erinnerungen, zu einer multiuser-gespeisten Datenbank, und werden wir Teil eines »Kondividuums«? Ist Medialität unmittelbar an Mediokrität gekoppelt? Wie gestalten User ihr Interface, und welche Produktivkräfte definieren technische, soziale und ästhetische Kompatibilitäten?

Diese und ähnliche Fragen, die ebenso Bestandteil von Scifi-Szenarien als auch der gegenwärtigen Alltags-, Pop- und Netzkultur sind, reorganisieren das Verhältnis zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen und zielen letztendlich auf die Konstitution einer digitalen Ökonomie. Das Phänomen des Popstars unter den Bedingungen einer solchen digital verfassten Ökonomie beschreibt William Gibson in seinem 1996 erschienenen Roman »Idoru«. Die virtuelle Persönlichkeit der Protagonistin Rei Toei konstituiert sich darin als ein Amalgam künstlicher Erinnerungen, die sich aus den Wünschen und Bedürfnissen ihrer Fans im Internet speisen. Ihre Existenz als künstliche Intelligenz beruht auf einer stetig wachsenden Datenbank aus Statistiken des Begehrens. Die Schnittstelle ihrer Persönlichkeit spiegelt die Schnittmenge eines kleinsten »kondividuellen« Nenners, und ihr visuelles Interface im Netz und in Form von Holographien im realen Raum zeigt eine vom Marketing geschriebene Ikone. Rei Toei verkörpert den Star als überindividuelle und künstliche Persönlichkeit, die den Gesetzen einer Gesellschaft des Spektakels gehorcht. Als invertiertes Individuum entspricht sie damit genau Guy Debords Starbegriff eines Agenten des Spektakels: »Der Agent des Spektakels, der als Star in Szene gesetzt wird, ist das Gegenteil des Individuums, der Feind des Individuums (...). Der Star des Konsums zeigt, obwohl er äußerlich die Repräsentation verschiedener Persönlichkeitstypen ist, daß jeder dieser Typen gleichen Zugang zur Totalität des Konsums hat und in ihm gleichermaßen sein Glück findet.«4 Stützten sich die Ready-mades noch auf die industrielle Massenproduktion von Waren und traditionelle Mechanismen der Kulturindustrie, stellen die postfordistischen Media-mades Identifikationsangebote für ein vernetzt-kollektives Begehren unter den Bedingungen globaler Funktionssysteme bereit. Das persönliche Lebensgefühl und die eigene Befindlichkeit werden dabei einer Multiuser-Domain vergleichbar, aus der verschiedenste Stimmen zu uns sprechen.5

Gibsons Vision eines virtuellen datenanthropomorphen Stars wurde mittlerweile von der medialen Wirklichkeit eingeholt. Hori Productions entwickelten 1995 Kyoko Date, deren »Persönlichkeitsstruktur« einem durchschnittlichen, weiblichen japanischen Teenager entspricht. Ganz im Sinne von Debords »Star des Konsums« konstruiert sich Kyoko Date aus den Konsumgewohnheiten ihrer Fans und repräsentiert das Produkt intensiver Marktanalyse und empirischer Trendforschung. Hori Productions erkannte, dass Lifestyle heute von der Wahl des richtigen Produkts bestimmt wird und nur die geeignete Schnittstelle ­ bei Kyoko Date 40.000 Polygone ­ zwischen den Angeboten der Industrie und den Bedürfnissen der Konsumenten den Verkauf von 50.000 Exemplaren des Hits »Love Communication« garantiert. Weitere Beispiele wie etwa das virtuelle Model Webbie Tookay der Agentur Elite Models6 oder der virtuelle Schlagersänger E-CYAS (Endo Cybernetic Artificial Star) der I-D Gruppe7 verkörpern perfekte Media-mades als Zuschreibungskonzepte für mediatisierte Identitäten, Sehnsüchte und Defizite der sozialen Realität. Bemerkenswert erscheint hier vor allem die affirmative Kraft der Ökonomie, mit deren Hilfe etwa die poststrukturalistische Dekonstruktion des Autors und das rhizomatische Denken à la Deleuze und Guattari eine ungewollte Synkretisierung mit dem E-Commerce und der neoliberalen Ideologie erfahren. War bei Debord der Star Ausdruck eines kollektiven Identifikationsmodells, das nur hintergründig als entpersonalisiertes Projekt fungierte, operieren die neuen, mit neoliberalen Plug Ins hochgerüsteten Stars völlig offenkundig im Dienste der Ökonomie. Speziell virtuelle »Stars« oder Models sichern die Berechenbarkeit der Image- und Markenbildung für ein Produkt, sind pflegeleichter und kostenverträglicher als Stars aus Fleisch und Blut und gehorchen widerspruchslos den Gesetzen des »Hire and Fire«. Diese Vorteile, die sich nicht nur auf Pixelkreationen beschränken lassen, entdeckte Phil Spector Anfang der 1960er Jahre, indem er zahlreiche Girl Groups lange vor den Spice Girls synthetisch initiierte. The Crystals, fünf von Spector engagierte Frauen, erfuhren beispielsweise erst aus der Zeitung, dass einer ihrer Songs, den sie selbst gar nicht kannten, an der Spitze der Hitparade stand. Der Hit »He's a Rebel«, der größte Erfolg in der Geschichte der Crystals, wurde 1963 vom 22-jährigen Spector mit Darlene Love aufgenommen und unter dem Label »The Crystals« vermarktet. Im Gegensatz zu den Crystals, die physisch real existierten, waren andere Stars, die Spector »entdeckte«, völlig fiktiv und existierten nur auf Plattencovers.

Soziale Schwerelosigkeit

Beziehungen transformieren in einer aus medialen und elektronischen Netzwerken konstituierten Gesellschaft in einen ökonomischen und telematischen Datenprozess, der unsere Wirklichkeitsmodelle nachhaltig verändert. Massenmedien organisieren zunehmend die Kopplung von Kognition und Kommunikation und steuern das »Nahekommen« unwillkürlich über Verhaltens- und Wertekoordinierungen. Media-mades als kollektive Zuschreibungskonzepte und Sinnprojekte übernehmen dabei Aufgaben des Sich-Näherkommens über Kommunikationsangebote, die die Kompatibilität und Komparabilität reglementieren und protokollartig standardisieren. Diese kulturellen Programme helfen uns bei der Produktion kollektiven Wissens, beim Remix von Information und Emotion und selbst beim Erleben von Intimität. Media-mades als Kondividualitäten oder gemeinsam teilbare Sinnplattformen sind der symbolische Shareholder Value einer Mediengesellschaft, und als solcher fungieren sie gleichzeitig als soziopsychologische Rettungsinseln und panoptische Überwachungszentralen. Sowohl Ferne als auch Nähe verschmelzen unter den Bedingungen medialer Konnektivität zu einem Gefühl psychischer Distanzlosigkeit und sozialer Schwerelosigkeit. Es resultiert ein Zustand sozialer Relativität, in dem Media-mades wie Soap Operas größere Intimität als reale Nah-Beziehungen versprechen und zum Surrogat für Familien- und Heimatgefühle werden.

Unabhängig von Aspekten der Kontrolle, der Konditionierung und des Surrogats bieten Media-mades aber auch die Möglichkeit einer kontingenten persönlichen Erfahrung und Entfaltung. Sie entlassen uns aus der Vorstellung einer universell-verbindlichen sozialen Realität und setzen das Potential eines Switchens zwischen Wirklichkeiten frei, ohne die unmittelbare Aufgabe einer sozio-kulturellen Konnektivität zu bedingen. Vollzieht sich das Leben mit oder besser in Media-mades im Bewusstsein der medialen Konstitution ihrer psychischen Settings, begünstigt dies die Assemblerqualitäten einer Gesellschaft. Wissen, Erkenntnis und Sinn werden so an den Schnittstellen der Systeme bzw. durch Assemblierung ihrer Codes produziert, kommuniziert und transformiert, womit sich das ehemalige Subjekt in ein Projekt wandelt, das sich der Tauschmittelfunktion des Geldes nähert. Insofern erscheint es nicht paradox, dass Media-mades die Zuschreibungskonzepte oder Identität einer Gruppe oder Gesellschaft gleichzeitig verfestigen und verflüssigen und einen neuen sozialen Aggregatzustand des Subjekts evozieren. Indem sie Identität sowohl schaffen als auch splitten, setzen sie eine antagonistische Identitäts-/Differenzpumpe in Betrieb, die Gesetze der Ökonomie auf unseren Psychohaushalt überträgt: Das Subjekt ist wie das Geld nur etwas wert, wenn es sich bewegt und sich der Hausse und Baisse des Egodesigns unterwirft.

Lokale Netze

Auch wenn in Zeiten der viel zitierten Globalisierung, elektronischen Vernetzung und Telepräsenz reale Topografien in den Hintergrund treten, scheint in Anbetracht der Konjunktur von Symposien und Konferenzen das Bedürfnis nach »personalisierten« Kommunikationen vor Ort proportional zu steigen. Lokale Geografien und soziale Topologien rücken in den Vordergrund und bilden im übertragenen Sinne temporäre »LANs« (Local Area Networks), innerhalb derer die Materialität der Kommunikatoren samt den Konnotationen ihres Sprechaktes zum Mehrwert bzw. zur verbesserten »Performance« der Verständigung wird. Die Präsentation künstlerischer und theoretischer Modelle, Arbeitsmethoden und Praktiken anhand von Vorträgen, Performances und Installationen versuchte nicht zuletzt gerade deswegen im anachronistisch scheinenden Format eines Symposions Fragen nach der Konstitution und Konstruktion von Kommunikation im Feld der Medien zu diskutieren. Die vorliegende Publikation versammelt fünfzehn Symposionsbeiträge sowie die Installation »Dermal Tresholds« von Daniel Canogar. Der Dank gebührt allen beteiligten Künstlern, Theoretikern und Philosophen, insbesondere Gerhard Johann Lischka, der als Mediator die Veranstaltung betreut und ein vielfältiges und spannendes Spektrum an Positionen zum Thema geladen hat.

Anmerkungen

  1. Vgl. Jorge Luis Borges, Borges und ich, in: Gesammelte Werke, Bd. VI, München 1982, S.121.
  2. Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, München 1985, Bd. I, S.16.
  3. Die Angst vor intelligenten Systemen und die Furcht vor einer Amputation des Menschen durch Maschinen, die das Individuum psychisch bedroht und Teil einer Schizophrenie werden kann, spiegelt die Biografie des Unabombers Theodore Kaczynski wider. In seinem 232 Punkte umfassenden Manifest vermerkt er unter Punkt 172: »First let us postulate that the computer scientists succeed in developing intelligent machines that can do all things better than human beings can do them. In that case presumably all work will be done by vast, highly organized systems of machines and no human effort will be necessary. Either of two cases might occur. The machines might be permitted to make all of their own decisions without human oversight, or else human control over the machines might be retained.« http.//www.time.com/time/reports/unabomber/wholemanifesto.html
  4. Guy Debord, Die Gesellschaft des Spektakels, Berlin 1996, S.49.
  5. Postulierte Arthur Rimbaud im 19.Jh. »Ich ist ein anderer«, erkennt Sherry Turkle: »Das Netz bietet jede Menge Selbsterfahrung. Und eine wichtige ist: Ich bin viele.« Die Soziologin Sherry Turkle über den Einfluß des Computers auf den Alltag, in: Der Spiegel, Nr.52, 23.12.1996. Vgl. weiters Sherry Turkle, Life on the Screen. Identity in the Age of the Internet, New York 1995.
  6. http:// www.illusion2k.com/
  7. Vgl. http://www.e-cyas.com: »Es wurden 23 Studenten eingeladen, die nach ihren verschiedenen Talenten und Einstellungen ausgewählt wurden. Mit ihnen war das Wissen, die Kultur, die Lifestyles und die Verschiedenartigkeit einer ganzen Generation (...) versammelt. Deren Gehirne und die darin gespeicherten Erfahrungen und Emotionen wurden mit Hilfe eines neuronalen Scanners abgetastet und in einen Super-Computer eingelesen, um die verschiedenen Talente in einer Art Meta-Persönlichkeit zu vereinen.« Vgl. auch http://www.heise.de/tp/deutsch/ inhalt/co/2367/1.html

Thomas Feuerstein, Media-made, Wie kommen wir uns nahe?, in: G. J. Lischka / T. Feuerstein (Hrsg.), Media-made, Wie kommen wir uns nahe?, Köln 2001, S. 7 ff.

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